Heute Nacht brauche ich Liebe
keine Kontrolle über mich hast. Du kannst einfach nicht loslassen und mir Vertrauen schenken.”
Joan holte tief Luft. Mit einem mal fehlten ihr die Worte. So wie Red es darstellte, war sie die Schuldige, weil sie angeblich so machtbesessen war. Aber war sie das in gewissem Maße nicht auch? Red war ihr Ehemann und dadurch mit ihr verbunden, aber er war nicht ihr Eigentum, sie konnte nicht über ihn bestimmen. Sie hatte in ständiger Angst gelebt, dass er sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzte, wenn er unerschrocken die abenteuerlichsten Touren unternahm, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen. Es wäre alles halb so schlimm gewesen, wenn sie dabei gewesen wäre.
War es nicht doch so, dass sie glaubte, die Welt müsse zusammenbrechen, wenn sie keine Kontrolle über die Ereignisse besaß? Von Vertrauen konnte da wahrlich nicht die Rede sein.
Abrupt drehte sie sich um und griff nach ihrem Pullover. „Dieses Mal werde ich dir wohl vertrauen müssen”, sagte sie und zog den Pullover über den Kopf. „Weil ich mit dir fliege.”
Sie warf ihm sein Hemd zu und wollte schon die Tür öffnen, da blockierte Red sie, indem er einen Fuß dagegen stellte. Mit gefährlich leiser Stimme fragte er: „Was hast du gerade gesagt?”
„Du hast mich richtig verstanden. Jemand muss das Gerät doch anschließen.”
„Aber nicht du, Lady!” Er trat einen Schritt von der Tür weg und schaute Joan an, als wüsste er nicht, ob er lachen oder toben sollte. „Du nicht.”
„Wer denn?” entgegnete sie ärgerlich. „Du vielleicht?"
„Du hast ein Dutzend Mitarbeiter.”
„Von denen nur zwei unverletzt sind.”
„Gut.” Reds Stimme überschlug sich beinahe. „Ich werde Gilly mitnehmen.”
„Und was passiert mit all den Verletzten, wenn er nicht mehr da ist?"
„Dann nehme ich Lewis mit. Er ist doch Mechaniker.”
„Er ist ein Mechaniker, aber ich bin leitender Ingenieur und kenne mich als einzige mit diesem Gerät aus. Und selbst wenn ich es nicht wäre, würde ich keinen anderen an mein System lassen.”
„Natürlich!” Mit gespielter Bestürzung schlug Red sich auf die Stirn. „Wie konnte ich das vergessen? Niemand außer dir weiß Bescheid. Die anderen sind alle dumm.”
Joan presste die Lippen zusammen, um nicht eine bissige Bemerkung zu machen, und wandte sich wieder zur Tür. Red hielt sie am Arm fest. „Verdammt, Joan, das ist kein Vergnügungsflug.”
„Was denn? Gefährlich?” Sie schaute ihn kühl an und entzog ihm ihren Arm. „Das habe ich auch schon gesagt."
Ohne eine Antwort abzuwarten verließ sie den Raum. Diesmal ließ sie sich nicht zurückhalten.
10. KAPITEL
Als Joan in den Aufenthaltsraum zurückkehrte, waren die meisten Leute bereits wach. Es musste später sein, als sie angenommen hatte. Man warf ihr neugierige Blicke zu, vor allem Della und Gilly. Offensichtlich wussten sie bereits alle, dass sie die Nacht mit Red im Funkraum verbracht hatte, und dachten sich ihren Teil. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Joan sich darüber geärgert, doch jetzt empfand sie eher einen Stich in der Brust. Ja, sie hatte die Nacht damit verbracht, sich ihrem Ehemann hinzugeben. Sie bereute es nicht, und doch hatte sie das Gefühl, den größten Fehler ihres Lebens begangen zu haben. Trotzdem hätte sie es auch ein zweites Mal getan, weil sie wusste, dass es das letzte Mal war.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, als habe er sie ganz vereinnahmt, und dann, nachdem er sie völlig ausgelaugt hatte und nichts mehr übrig war, was er sich hätte nehmen können, einfach fallen lassen. Sie hatte ihm alles gegeben, sich ihm ganz geöffnet,. wie sie es nie zuvor getan hatte, und trotzdem hatte sich nichts geändert. Am Ende blieb immer noch diese eine Schranke, die er weiterhin geschlossen hielt. Er reservierte sich einen Freiraum, in dem sie nichts zu suchen hatte. Das tat weh, mehr als alles, was sie bisher durchgestanden hatte.
Und wie immer verwandelte sich ihr Schmerz augenblicklich in Wut, weil sie mit derart unangenehmen Dingen nur aggressiv umgehen konnte, und weil Red nach allem, was sie miteinander geteilt hatten, sich immer noch weigerte, sie zu verstehen. Zugegeben, er hatte in vielen Dingen recht. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatte er sie dazu gebracht, Wahrheiten ins Auge zu sehen, von deren Existenz sie zuvor nichts gewusst hatte. Warum konnte er sie dann nicht verstehen?
Es ging ihr dabei nicht allein ums Fliegen. Es ging auch nicht um seine lange Abwesenheit, wenn er unterwegs war,
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