Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
die Mittagsglut. Niemand trägt eine Jacke, das Frieren am Morgen heißt frische Luft, weil am Mittag der dicke Staub und die teuflische Hitze kommen.
Wenn ich nicht bestellt bin, schlafen wir jetzt um diese Zeit noch Stunden. Statt tiefschwarz ist der Tagschlaf flach und gelb. Wir schlafen unruhig, die Sonne fällt uns aufs Kissen. Aber den Tag kann man dennoch verkürzen. Wir werden noch früh genug beobachtet, uns läuft der Tag nicht weg. Man kann uns immer etwas vorwerfen, auch wenn wir fast bis Mittag schlafen. Sowieso wirft man uns immer etwas vor, an dem nichts mehr zu ändern ist. Man schläft, aber der Tag wartet, auch ein Bett ist kein anderes Land. In Ruhe lassen wird man uns erst dann, wenn wir bei Lilli liegen.
Natürlich muß Paul auch seinen Rausch ausschlafen. Erst um die Mittagszeit sitzt sein Kopf fest im Nacken, sein Mund kann wieder reden, schlürft die Wörter nicht mit einer Stimme, die geliehen ist vom Suff. Nur sein Atem riecht noch, als müßte ich unten an der offenen Bartür vorbei, wenn Paul in die Küche kommt. Seit dem Frühjahr sind die Trinkzeiten durch ein Gesetz geregelt, erst nach elf Uhr ist das Trinken erlaubt. Aber die Bar öffnet immer noch um sechs, und bis elf steht der Schnaps in Kaffeetassen, danach gibt es Gläser.
Paul trinkt und ist nicht mehr derselbe, schläft seinen Rausch aus und ist wieder derselbe. Gegen Mittag wäre alles wieder gut und wird wieder verdorben. Paul hütet seine Seele, bis das Büffelgras auf dem Trockenen steht, und ich grüble, wer wir sind, ich und er, bis ich nichts mehr weiß. Wenn wir gegen Mittag am Küchentisch sitzen, ist es falsch, über den Rausch von gestern zu reden. Dennoch sage ich mal das eine, mal das andere:
Der Schnaps ändert nichts.
Warum machst du mir das Leben schwer.
Dein Rausch war gestern größer als die Küche hier.
Ja, die Wohnung ist klein, und ich will Paul nicht ausweichen, aber wir sitzen, wenn wir zu Hause bleiben, zu oft am Tag in der Küche. Nachmittags ist er schon betrunken und abends noch mehr. Ich schiebe das Reden auf, weil er grantig wird. Ich warte über Nacht, bis er wieder nüchtern in der Küche sitzt, mit Zwiebelaugen in der Stirn. Was ich dann sage, geht an ihm vorbei. Ich möchte, daß Paul mir einmal recht gibt. Doch bei Trinkern gibt es kein Geständnis, kein stummes für sie selber und ein abgerungenes für andere, die darauf warten, schon längst nicht. Paul denkt schon beim Aufwachen ans Trinken und leugnet es. Darum gibt es keine Wahrheit. Wenn er nicht schweigend an mir vorbei hört, sagt er mir für den ganzen Tag:
Mach dir keine Sorgen, ich trink nicht aus Verzweiflung, sondern weils mir schmeckt.
Das kann sein, sage ich, du denkst mit der Zunge.
Paul sieht durchs Küchenfenster in den Himmel, oder in die Tasse. Er tupft in die Kaffeetropfen auf dem Tisch, als müßte er sich überzeugen, daß sie naß sind und größer werden, wenn man sie verschmiert. Er nimmt meine Hand, ich sehe durchs Küchenfenster in den Himmel, in die Tasse, ich tupf auch in den einen und anderen Kaffeetropfen auf dem Tisch. Die rote Emailledose sieht uns an, ich schau zurück. Paul nicht, sonst müßte er sich heut etwas anderes vornehmen als gestern. Ist er nun stark oder schwach, wenn er schweigt, statt einmal zu sagen: Heute trinke ich nicht. Gestern sagte Paul wieder:
Mach dir keine Sorgen, dein Mensch trinkt, weil es ihm schmeckt.
Die Beine trugen ihn durch den Flur, zu schwer, zu leicht, als wären darin Sand und Luft durcheinander. Ich legte meine Hand um seinen Hals, streichelte die Stoppeln, die ich so gern morgens anfasse, weil sie im Schlaf gewachsen sind. Er zog meine Hand hinauf unter sein Auge, sie rutschte die Wange hinunter bis an sein Kinn. Ich hab die Finger nicht weggezogen, nur gedacht hab ich mir:
Man soll nichts an die Wange lehnen, wenn man das Bild der beiden Pflaumen kennt.
Ich höre es gern am späten Morgen, wenn Paul so redet, und es gefällt mir nicht. Wenn ich gerade von ihm wegrücke, lehnt er seine Liebe an, die so nackt daherkommt, daß er nichts weiter über sich zu reden braucht. Er hat auf nichts zu warten. Mein Einverständnis steht parat, ich habe keinen Vorwurf mehr auf meiner Zunge. Und der im Kopf verzieht sich rasch. Gut, daß ich mich nicht sehe, ich glaube, mein Gesicht wird dumm und hell. Auch gestern morgen schlüpfte aus Pauls Kater unerwartet eine Katzennase, die auf weichen Pfoten geht. DEIN MENSCH, so redet nur, wer flach im Kopf und an den Mundwinkeln
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