Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
an der Kinderleiche einen Exorzismus.
Mutter geriet außer sich, als sie von diesem Vorfall erfuhr, zumal der Priester den kleinen Leichnam mit Peitschenhieben bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet haben sollte. „Teufelsaustreibung“, entsetzte sie sich, „in meinem Gau. Wann nimmt dergleichen bloß ein Ende!“
Ohne viel Zeit zu verlieren begab sie sich mit zwei ihrer Ritter auf den Weg zu ihrem Gatten.
Dietrich und ich blieben verstört zurück. Zwar hatten wir die Gräuelbotschaft mit angehört, konnten sie jedoch nur halbwegs begreifen. Was bedeutete geschändet? Hatte die Maid eine Schandtat begangen, für die sie getötet und anschließend noch ausgepeitscht werden musste?
Ebenso unverständlich war uns, dass die Atmosphäre in der vordem stets so heiteren Disburg noch angespannter wurde, als unsere Eltern mit Johannes drei Tage später zurückkehrten. Niemand sprach jetzt mehr als nötig. Die Zofen und Lakaien gingen mit versteinerten Gesichtern ihrer Arbeit nach, unsere Hauslehrer hatten kein privates Wort mehr für uns, und selbst Johannes war verschlossen, schreckensäugig und bleich wie ein Bettlaken, er wirkte wie ein Gespenst. Dafür trugen unsere Eltern, was diese Burg noch nie erlebt hatte, oft lautstarke Wortgefechte miteinander aus. Nach vier Tagen schickte Vater, wütend über seinen unfreiwilligen hiesigen Aufenthalt, Johannes alleine zurück zu seinem Gut.
W ieder entbrannte in der Kaminstube ein Streit zwischen unseren Eltern. Dietrich und ich verstanden durch die Verbindungstür zu unserer Lernstube, in der wir gerade an unseren Pulten saßen, jedes Wort. Vater hielt Mutter vor, ihretwegen hier festgenagelt zu sein, wo doch Johannes noch gar nicht imstande sei, die Baronie für längere Zeit alleine zu führen.
Darauf Mutter: „Bedenkt doch, Thomas, dank meines reaktionsschnellen Eingreifens bei den Braunschweigern habt Ihr Euch jetzt nur noch hier in Askanien für Eure Zustimmung zu diesem satanischen Exorzismus zu verantworten, der immerhin auf hiesigem Boden durchgeführt worden ist. Und Ihr wisst, wie unser Fürst darüber denkt.“
Das versetzte ihn in Rage: „Eben. Und dennoch habt Ihr mich, gleich nachdem Euch diese Nachricht überbracht worden ist, mittels Eures Herolds bei unserem Fürsten angeprangert!“
„Ich musste ihm den Fall melden lassen, dazu bin ich verpflichtet. Doch er wird dafür sorgen, dass Ihr Euch möglichst noch vor Weihnachten vor Gericht verteidigen könnt, das hat er mir über den Herold zugesagt.“
„Aber vor einem Kirchengericht“, beharrte Vater, „und unser Inquisitor befürwortet den Exorzismus.“
„Auch wenn er so brutal durchgeführt wird wie von Eurem Dorfpriester?“
„Er muss stets so lange und heftig vollzogen werden, bis alle Dämonen ausgetrieben sind, so verlangt es die Kirche.“
„Eure Kirche“, stellte sie klar. „Wenn die Ermordete aber nun einer protestantischen oder einer jüdischen Familie angehört hätte?“
Nach kurzem Schweigen, während dem Dietrich und ich einen verschreckten Blick tauschten, ertönte Vaters stolze Antwort: „Wir Katholiken helfen jeder Seele, Adelheid, soviel solltet Ihr von früher her noch wissen.“
Ihre Stimme klang erstickt, als sie nun von ihm wissen wollte: „Eurer Aussage nach würdet Ihr jederzeit wieder einen Exorzismus praktizieren lassen, auch an einem lebenden Menschen?“
„Gerade an einem lebenden Opfer, da es dieser Hilfe noch nötiger bedarf“, bestätigte er ihr voller Überzeugung, worauf wir hörten, dass Mutter den Kaminraum verließ.
E rst nach Weihnachten beobachteten Dietrich und ich von meinem Stubenfenster aus, wie ein Büttel Vater abholte. Er stieg mit ihm in eine bereitstehende Schlittenkutsche, die der Kutscher dann über den verschneiten Serpentinenweg den Disenberg hinablenkte.
Was steht unserem Vater bevor? Wird er in den Turm gesperrt?
Darauf erhielten wir von niemandem eine Antwort. Nicht mal von Mutter. Uns war sogar, als ging Mutter uns aus dem Weg, da sie sich jetzt fast ausschließlich bei ihren Ratsleuten in jenem Burgtrakt aufhielt, der uns verschlossen war. Und während der Mahlzeiten war ihr feines Antlitz so vergrämt, dass wir sie nicht auf Vater anzusprechen wagten, geschweige denn, sie zu trösten, oder unsere bedrückte Mutter nach dem Mahl wenigstens mal wortlos zu streicheln, wonach es mich so sehr drängte.
Dennoch konnten wir bald durch das Getuschel der Domestiken einiges erkunden. Vater muss sich zunächst in Aschersleben vor einem kirchlichen
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