Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
ihm durch die vielen Menschen führen, und wenig später stehen wir vor einem Bootshaus. Frodi drückt die Tür auf und schiebt mich wortlos hinein.
Im Halbdunkel bin ich gegen einen Fuß gestoßen, auf dem Boden liegt jemand der Länge nach da. Ich taste mich seitlich an ihm vorbei, knie mich neben seine Schulter und beuge mich über ihn - es ist Isolf.
„Suava - endlich“, stammelt er. Sein Kopf liegt in einer Blutlache, die rechte Gesichtshälfte ist bis ins Fleisch zerfetzt. „Das war Magie“, bringt er mühsam über seine blutenden Lippen und stellt mir dann die unangenehme Frage: „Von dir angeregt?“
„Ja“, gestehe ich ihm.
Darauf gerät in seinen Blick etwas Unheimliches, etwas Böses, und nachdem er mich eine Weile so angesehen hat, versucht er angestrengt, mir zu erklären: „Auch die Schuld deines Bruders . . “ , er ist kaum zu verstehen, „er hat mich nicht in sein Boot ge l a s . . , hat mich mit dem Ruder . . “
„Sei still, Isolf, nicht anstrengen. Du bist gerettet, alles wird jetzt gut, hörst du? Alles wird jetzt gut.“
Er aber flüstert darauf mit letzter Kraft: „Schönheit, geliebt habe ich . . nur . . dich . .“
Sein Kopf fällt zur Seite - Isolf ist tot.
H auchblaue Schleier umschweben mich wieder, verwehren mir die Sicht, verwehen alle Urdbilder.
Allmählich wird mir bewusst, dass ich, Waldur, nach wie vor auf dem Rand des glanzhellen Urdbrunnens sitze. Ich beobachte, wie seine Schicksalswasser in ihren Sphärenklängen von Skuld nach Urd fluten und von Urd nach Skuld. Ewiger Fluss, ewiger Zeiten- und Schicksalslauf, niemals Stillstand.
Bald fühle ich wieder die Nähe des für mich unsichtbaren Himmelswesens, das mich auch sogleich mit seiner Goldstimme anspricht: „Du sinnierst über die Wasser, dann wisse - Urd und Skuld sind in Wahrheit eins mit mir, der immerwährenden Gegenwart, die ich symbolisiere.“
„Immerwährende Gegenwart“, wiederhole ich, „demnach bist du die Norne Werdandi.“
„Ganz recht.“
Werdandi also, die liebesstrahlende, allgerechte Hüterin der Schicksalswasser, hier in der Kausalebene, hier bei mir. Demut erfüllt mich.
„Nun, Waldur“, spricht sie mich erneut an, „jetzt weißt du, woher Chlodwigs Hassliebe rührt.“
„Ja, und ich bin tief darüber betroffen.“
„Das sollst du nicht sein“, sagt sie mir lieb, „gewinne besser die richtigen Erkenntnisse daraus. Um dir dabei zu helfen, werde ich dir aus dem damaligen Leben noch ergänzend kundtun:
Als dich nach Isolfs Tod deine Schuldgefühle krank gemartert hatten, zogst du in den Tempel. Dort half dir eine Druidin, die richtige Einstellung zu deiner schweren Kausallast zu finden, was dich allmählich wieder gesunden ließ. Doch du bliebst noch weiterhin im Tempel, noch volle sechs Jahre, und während derer erfuhrst du unter der Druidin eine erfreuliche Seelenentwicklung.
Nur gegen deinen damals schon bestehenden Eigensinn, mein lieber Waldur, hat sie zu wenig ausrichten können, noch weniger als in deinem jetzigen Leben Ethne und Hermod, weshalb du dich nun endlich ernsthaft mit ihm auseinandersetzen sollst. Dazu ein Hinweis, dein Eigensinn trübt dir bis heute Chlodwig gegenüber die Sicht, vor allem, was seine Geltungssucht anbelangt, die bereits krankhaft entartet ist zu der gefährlichsten Art von Wahn. Ursprünglich hattest du daran Mitschuld, denn, überlege, indem du das Leben des geltungsbedürftigen Isolf um Jahre verkürzt hast, hast du ihn gleichsam um Selbsterfahrungen, also um eine positive Weiterentwicklung betrogen.
Versuche deshalb schon heute, Chlodwigs Wahn, der in seinem nächstfolgendem Midgardleben noch weiter ausarten wird, genau zu erkennen. Denn du wirst Chlodwig in jenem Erdenleben wieder begegnen und abermals die Chance haben, heilsam auf ihn einzuwirken. So kannst du dann bei ihm nachholen, was du in eurem derzeitigen Erdenleben versäumt hast.“
Diese Worte haben sich tief in meine Seele gesenkt. Ich versuche, darüber nachzudenken, doch es gelingt mir nicht, da mir plötzlich von all dem Erlebten und Gehörten schwindelt.
Wohl deshalb fordert mich Werdandi jetzt auf: „Lass es vorab genug sein. Kehre zurück in den Midgard und gönne dir zunächst ausgiebig Ruhe. Danach wirst du weitersehen.“
Darauf verblasst der Kausalglanz um mich her, dennoch vernehme ich weiterhin Werdanis Stimme, wenn auch von fern und immer ferner herkommend: „Befreie dich von Eigensinn, Waldur - von Eigensinn . . “
Währenddessen gleite ich, wie von sanfter Hand gelenkt,
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