Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Zeit mit ihr in einem Keilberger Biergarten zu unseren jungen Freunden an den Tisch.
Elgrin zog es Ortwins wegen dorthin. Ja, Ortwins Interesse an mir war ermüdet, hin und wieder schenkte er mir noch ein nettes Lächeln, er war nun mal ein Charmeur, doch seine facettenreichen Verführungskünste galten nunmehr Elgrin. Zwar war ich nie verliebt in ihn gewesen, aber ein wenig traf mich das schon.
Dennoch saß ich jedes Mal gerne unter meinen Freunden, da es bei ihnen unterhaltsam zuging und ich von ihnen allerlei für mich Lehrreiches über das bürgerliche Berufs- und Familienleben erfuhr. Sie vertrauten mir vieles an, oft sogar Intimes, vermutlich, weil ich ihnen verständnisvoll zuhörte und auch teilnehmende Fragen stellte.
Fand sich jedoch an einem Nachbartisch Keilbergs Elite ein - der Bürgermeister, der Arzt, der Veterinär, der Apotheker und die beiden Priester - dann galt mein Interesse auch ihren Gesprächen. Wobei mein Lauschen keiner Anstrengung bedurfte, da das von ihnen genossene Bier rasch ihr Temperament entfachte und ihr Stimmvolumen erhöhte. Ihre Lieblingsthemen waren Finanzen und Politik, wobei sie sich vorwiegend über unseren neuen Kaiser Ferdinand ausließen, der sich ihrer Meinung nach zwar als menschlicher erwies als sein aus Bequemlichkeit abgedankter Vorgänger, jedoch hinsichtlich der Steuer- und der privaten Schuldeintreibungen die Zügel viel zu schlaff in den Händen hielt. Daher die noch immer nicht nachlassende Teuerung im Reich, die sich speziell auf ihre Berufe so empfindlich auswirke, klagten sie. Saß keiner der beiden Priester unter ihnen, dann alterierten sie sich auch über die ständigen, oft blutigen Zwistigkeiten zwischen Lutheranern und Katholiken, oder sie verrieten einander - dann allerdings mit verhaltener Stimme - unlautere Tricks, mit denen man seine Steuer- und Kirchenabgaben senken konnte. Dabei stieß mein unvoreingenommenes Denken wieder auf eine Kuriosität: Männer setzten ‚weise’ Gesetze in die Welt, und Männer waren es dann, die sie feixend umgingen. Wobei sie sich für ungemein klug hielten und sich darin wie im Wettstreit gegenseitig zu überbieten trachteten.
So sammelte ich in Keilberg Lebenserfahrung und erkannte schnell, dass in jedweder Volksschicht grundsätzlich die gleichen Bestrebungen, Freuden und Enttäuschungen ihre Blüten trieben, wenngleich die Bauern und Handwerker offen damit umgingen, die ‚Elite’ dagegen verbrämt. Darüber hinaus gelangte ich zu einem traurigen Resümee - für die Mehrheit der Menschen, ob Frauen oder Männer, ob Jung oder Alt, zählte Wohlstand mehr als Anstand. Auf diese Erkenntnis von mir brachten dann die abgeklärten Greisinnen Keilbergs, mit denen ich gerne Gedankenaustausch betrieb, lediglich mit resigniertem Achselzucken zum Ausdruck: ‚Was soll man dazu sagen, Mädchen, so ist das nunmal.’
N eben dem Sammeln jener Erfahrungen erfreute ich mich seit der Schneeschmelze häufiger als zuvor an Marlis’ und Jörgs Gesellschaft. Denn sie waren nun eifrig damit beschäftigt, ihre Existenz noch dieses Jahr nach Blankenburg zu verlegen und übernachteten seitdem auf ihren vielen langen Fahrten von und nach Blankenburg jeweils in unserem Gasthof. Jörgs Vater hatte ihnen dort ein Mehrfamilienhaus geschenkt, das sie im Parterre voller Euphorie für die Schneiderei umgestalten ließen. Da jedoch Marlis’ und Jörgs Ersparnisse für den Umbau, den Umzug sowie die neue Einrichtung längst nicht ausreichten, werden Marlis’ Eltern ihr Wolfhausener Haus verkaufen und ihnen den Erlös zur Verfügung stellen.
Anfangs hatte ich ihre Euphorie geteilt und mich häufig vor dem Einschlafen mit ihrer Zukunftsgestaltung beschäftigt, wobei mich eines Abends überraschend die Ernüchterung einholte. In Form einer Eingebung, und Eingebungen hatten mir stets die Wahrheit vor Augen geführt, ob sie mir gefielen oder nicht. Diesmal gefiel sie mir nicht. Mir wurde deutlich, dass Marlis und Jörg bei ihrem Vorhaben auf massive Hindernisse stoßen werden, die ich allerdings nicht definieren konnte, so sehr ich mich auch um eine deutlichere Sicht bemühte. Sicher, ich wünschte mir eine deutlichere Sicht, sträubte mich aber gleichzeitig dagegen, da diese Hindernisse, wie ich ahnte, nur durch meine Hilfe zu bewältigen sein werden. Einer Art Hilfe, die mir einen Seelenkampf abverlangen würde, und eben dagegen lehnte sich mein Inneres auf.
Abend für Abend wälzte ich mich seitdem mit diesen zerreißenden Gedanken in den Schlaf,
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