Fremd küssen. Roman
1
» N imm du Sraup in regt Hand und dann dreh link. Vorsigt mit Kabel und andere Strom. Wenn gesraupt, dann gud. Wenn nigt, dann du Fehler gemagt«,
steht in der Gebrauchsanweisung.
Also nehme ich die Schraube in die rechte Hand und drehe nach links. Die Schraube dreht durch. Es steht nichts von einem Dübel in der Gebrauchsanweisung und es steht auch nichts darüber, was man tun muss, wenn die Schraube durchdreht. Ich fange an zu schwitzen. Einmal nur in meinem Leben möchte ich etwas richtig zu Ende bringen, ohne jemanden um Hilfe bitten zu müssen. Also, alles noch mal von vorne.
Sraup in regt Hand.
Bitte sehr. Die Schraube dreht durch. Und ich drehe auch gleich durch.
Ich muss also mal wieder zu Richard und ihn um Hilfe bitten. Richard wohnt ein Stockwerk über mir und hat eine Wohnung, vor der ich einfach nur Angst habe. Sämtliche Wände sind schwarz gestrichen, damit bloß kein Sonnenlicht reflektiert. Obwohl das gar nicht möglich wäre, denn Richards Fenster sind immer geschlossen und die Klappläden wurden wohl in den fünf Jahren, in denen er hier wohnt, noch nie geöffnet. Wahrscheinlich würden sie sich jetzt auch gar nicht mehr öffnen lassen, weil sie völlig eingerostet sind.
Richard ist ein Albino mit großen roten Augen, weißen Haaren und einer derart durchsichtigen Haut, dass man meint, die Blutzirkulation durch seinen Körper mit bloßem Auge erkennen zu können. Als Richard mir einmal einen Toilettendeckel montierte – es war Sommer und sein Oberkörper ausnahmsweise frei –, lag er halb unter dem Klosett und ich schwöre, dass ich seinen Zwölffingerdarm gesehen habe. Wenn Richard aus dem Haus geht, trägt er, auch bei vierzig Grad im Schatten, grundsätzlich einen hochgeschlossenen Parka, lange Hosen, Stiefel und eine Skibrille. Er hat eine derart panische Angst davor, dass er einen Sonnenbrand bekommen könnte, dass es schon fast krankhaft ist.
Ein einziges Mal waren wir im Sommer zusammen einkaufen, da trug er eine Mütze, die nur an den Augen schmale Schlitze hatte. Frau Gerber an der Kasse vom AKTIV -Markt hat sofort den Alarmknopf gedrückt, weil sie der Meinung war, Richard wolle die Bareinnahmen aus ihrer Kasse und hielte mich als Geisel. Dabei hat sich Richard nur an mir festgehalten, weil die Mütze verrutscht war und er nichts mehr sehen konnte.
Sämtliche Kunden liefen auf die Straße und schrien, und Frau Gerber bedrohte Richard mit dem Scannerleser ihrer Kasse, in der Hoffnung, er würde annehmen, es handele sich dabei um ein Elektroschockgerät. Die Polizei kam und umstellte den Markt. Ich versuchte, das Missverständnis aufzuklären, aber wie immer hörte mir keiner zu. Richard war verwirrt und brachte es irgendwann fertig, den Sehschlitz seiner Mütze wieder vor seine Augen zu platzieren, was mit entsetzten Schreien der Angestellten honoriert wurde, vermutlich, weil seine Augen vor Panik noch röter waren als sonst. »Geben Sie auf. Verlassen Sie mit erhobenen Händen das Gebäude!«, quakte das Überfallkommando von draußen.
Ich fing an, laut zu heulen, Richard begriff gar nichts mehr und wollte mich in den Arm nehmen. »Lass mich«, schniefte ich und schubste ihn weg. »Wo ich hinkomme, passiert irgendwas Schlimmes.«
Richard strauchelte, verlor das Gleichgewicht und stürzte mit dem Süßwarendrehständer auf den Boden. Diesen Moment nutzte Werner Pluntke, der Marktleiter, um sich mit Todesverachtung auf Richard zu werfen. Hektisch riss er einen Beutel mit Lakritze auf, rollte die Schnecken auseinander und versuchte, Richard damit zu fesseln und somit dingfest zu machen. Frau Gerber, eine geborene Stuttgarterin, lief an die Ladentür, gestikulierte und ging dann, als die Polizisten die Waffen sinken ließen, vors Haus. »De Schef hot den Monn gschwind überwäldigt!«, schwäbelte sie erleichtert. »Heiligs Blechle, un des om frühe Morge!«
Richard und ich wurden in eine Ecke gedrängt und festgehalten, und endlich konnte ich alles erklären. Richard sagte gar nichts mehr. Er ist seitdem nie mehr mit mir einkaufen gegangen.
Ich heiße Carolin. Nein, nennen Sie mich bitte Caro. Obwohl ich Carolin sehr schön finde. Die Prinzessin von Monaco heißt auch so und sie hat auch so viel Pech wie ich und knabbert bestimmt wie ihre Schwester Stéphanie an den Fingernägeln. Ich habe das mal in einer Klatschzeitung gelesen und habe dann auch angefangen, an den Fingernägeln zu knabbern. Ich dachte, wenn eine Prinzessin das tut, ist das bestimmt sehr chic. Ich
Weitere Kostenlose Bücher