Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
und bogen auf einen Steinplattenweg ab, der leicht aufwärts zu dem hinter dem Gebäude gelegenen Hofgarten führte. Wieder blickte sich Lukas überrascht um, einen solch riesigen Hintergarten voll saftig blühender Bäume und Sträucher hätte er in dem für seinen Geschmack zu ausgetrockneten Italien nimmer vermutet.
Sie stiegen aus den Sätteln, banden die Pferde an einem Maronenbaum fest, und bevor sie die Stufen zum Nebeneingang erklommen, erklärte Carlo: "Das Malatelier liegt im Hochparterre, und jetzt komm, aber leise, die Artisti arbeiten sicher wieder an ihrem gemeinsamen Gemälde."
In dem weit ausgedehnten, ganz in Weiß gehaltenen Atelier war es erstaunlicherweise ebenso hell wie draußen. Deshalb entdeckte Lukas am hinteren Ende des Raumes sogleich jene zwei Künstler, die an einem riesigen Gemälde malten, jeder an einer anderen Figur. Und an einem Zeichentisch arbeitete ein dritter Künstler, der Lukas zum Gruß kurz zunickte. Lukas verhielt seinen Schritt, um niemanden zu stören. Darauf zog Carlo ihn weiter ins Atelier hinein und deutete mit einer ausladenden Armbewegung auf die vielen an den Wänden lehnenden und hängenden und auf Staffeleien stehenden Gemälde mit überwiegend Menschengestalten. Deren Anblick verschlug Lukas augenblicklich den Atem.
Hatte Carlo also nicht übertrieben, sein Herr war wahrlich ein Maestro. Die Gestalten waren teils von transparenter Schönheit und wirkten wegen ihrer plastischen Darstellung so lebensecht, als befänden sie sich hier im Raum und hielten in ihrer Bewegung nur mal eben inne.
Bald war Lukas diesen Kunstwerken gänzlich hingegeben. Langsam trat er reihum vor jedes Gemälde, wobei er jetzt deutliche Unterschiede entdeckte, einigen ermangelte es im Vergleich zu wenigen anderen an Intensität. Letztere, die sich alle beisammen rechts der Hintertür in der größten Malecke befanden, waren fraglos die Werke des Maestros. Sie leuchteten, als seien sie von ihrer Hinterseite her von Lampen bestrahlt. Auch waren die meist biblischen Szenen in kein Zeitgeschehen einzuordnen, die Heiligen befanden sich in einem Tempel oder einem Garten mit teils unwirklicher, jedoch symbolhafter Vegetation, und im Hintergrund sah man immer wieder urzeitliche Gletscher-, Berg- und Flusslandschaften, in denen allerdings vereinzelt Bäume der Jetztzeit wuchsen. Zeit und Ort waren in diesen Werken aufgehoben, und dennoch waren sie wirklichkeitsnah, sie überzeugten durch ihren mystischen Wahrheitsgehalt. Das war überirdische Schönheit.
Wie lange Lukas vor diesen Gemälden verweilt hatte, hätte er nicht sagen können, das Rucken eines Hockers holte ihn zurück. Darauf strich er sich mit der Hand über die Stirn, gewahrte wieder, wo er sich befand, und unwillkürlich trugen ihn seine Beine rasch aus dem Atelier hinaus.
Noch immer nicht recht bei sich, band er im Hof Oskar los, saß auf und ritt davon. Doch wenige Minuten später wurde er von hinten angerufen: "Lukas, warte, Lukas!"
Im nächsten Moment tauchte zu Pferd Carlo neben ihm auf und teilte ihm außer Atem mit: "Du sollst morgen wiederkommen."
"Weshalb - wer wünscht das?"
"Mein Maestro lässt dich darum bitten. Er hat mehrere Minuten nach uns das Atelier betreten und dich dann fortwährend mit seinem tiefgründigen Blick betrachtet. Nachdem du dann plötzlich hinaus gehetzt bist, hat er mich dir nachgeschickt, um dich für morgen einzuladen. Wirst du kommen?"
"Weiß nicht. Doch, ich denke schon."
"Du musst kommen", drängte Carlo, doch da Lukas außerstande war, verbindlich zuzusagen, bedankte er sich nur für die Botschaft und setzte seinen Ritt fort.
In der Suite musste Lukas zunächst seine so unerwarteten Erlebnisse verarbeiten.
Erst beim Mittagsmahl im Speisesaal konnte Lukas sein Herz entladen, indem er Alphonse von seinem Atelierbesuch berichtete. Alphonse hörte interessiert zu, stellte nur wenige Fragen und äußerte zu guter Letzt: "Nach diesem Signor werde ich mich erkundigen. Zum Glück kenne ich hier einige Kunstexperten, und wenn er tatsächlich ein anerkannter Künstler ist, könnte er dir womöglich für Florenz behilflich sein."
Mit viel versprechendem Ausdruck kehrte Alphonse am Abend von seinem Erkundungsweg zurück, machte es sich dann mit Lukas in ihren Polstersesseln bequem und berichtete ihm bei reichlich Wein, was er in Erfahrung gebracht hatte.
Jener Maestro war tatsächlich eine Kapazität, er genoss sowohl als Baumeister wie auch als Artista einen beachtlichen Ruf. Außerdem stand er mit
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