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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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gegenüber
begeht.«
    Lydia Vonnegut sah ihn mit ihren verschiedenfarbigen Augen scharf
an, richtete sich auf und beugte den Oberkörper Arved entgegen.
Er roch den Gestank des Todes und ekelte sich davor.
    »Sie bestiehlt mich, wo sie nur kann. Das ist der einzige
Grund, warum sie bei mir bleibt.« Sie lachte meckernd.
»Manchmal höre ich es klappern, wenn sie geht. Am Klang
kann ich erkennen, ob sie etwa eine der chinesischen Vasen oder einen
Silberleuchter mitgenommen hat. Aber es ist mir egal.« Sie
verzog den faltigen Mund zu einem Grinsen. Zu einem Totengrinsen.
    »Soll ich die Polizei einschalten?«, fragte Arved
unschlüssig. Er hatte keine Ahnung, ob Lydia Vonnegut
phantasierte oder ob Else, die ältliche Magd, tatsächlich
ihre karge Rente und ihr noch kargeres Gehalt bei der Sterbenden
durch eine gelegentliche Langfingerei aufbesserte.
    »Nein, nein, soll sie doch ihren Spaß haben. Wenn sie
mir jeden Tag eine Kleinigkeit stiehlt, wird sie mich in tausend
Jahren arm gemacht haben.« Sie legte sich zurück und lachte
überraschend laut und kräftig. »Nun aber zu Ihrer
Predigt«, sagte sie, als sie wieder stiller geworden war.
»Die alte Else war ganz entsetzt.«
    Er hasste den Blick ihrer Augen – eines grün, das andere
gelblich. Nicht nur Else war entsetzt, wollte Arved sagen, doch er
schwieg und schaute sich in dem dunklen Zimmer um. Es ging auf die
Thebäerstraße hinaus; manchmal hörte man
gedämpften Verkehrslärm durch die vorgelegten
Fensterläden, doch das lauteste Geräusch in dem Raum war
die große Standuhr gegenüber dem Bett. Sie schlug jede
Viertelstunde. Da sich außer ihr und dem Bett sowie dem Stuhl,
auf dem Arved saß, kein weiteres Möbelstück in dem
Raum befand, hallte jeder Schlag unangenehm laut. Weiterhin war das
Huschen und Schleichen der beiden schwarzen Katzen zu hören;
ihre Krallen verursachten klickende Geräusche auf dem alten,
glatten Parkett.
    »Hat Sie etwa der Teufel geritten?«, fragte die alte
Vonnegut in scheußlich neckischem Tonfall. »Haben Sie
wirklich von der Kanzel herab verkündet, dass es keinen Gott
gibt und all die dummen Kirchenschafe ihre Gebete ins Nichts
schicken?«
    »Nicht ganz«, beeilte sich Arved zu sagen und nestelte
an seinem engen Priesterkragen herum. »Ich habe meinen Zweifeln
Ausdruck verliehen, das stimmt. Aber ich habe die Kirchgänger
nicht beleidigt.« Er erinnerte sich deutlich an seine Predigt
– und an das steinerne Schweigen, als er danach das
Glaubensbekenntnis sprechen wollte und es nicht mehr konnte. Er hatte
die Kirche verlassen. »Vielleicht waren es die vielen
Gespräche mit Ihnen, Frau Vonnegut, die meine Zweifel
genährt haben.«
    Sie lachte böse. »Das würde mir sehr gefallen. Ich
mag es, den Leuten ihre Illusionen und ihre Sicherheit zu rauben.
Warum soll es Ihnen besser gehen als mir?« Plötzlich griff
sie sich mit der krallenartigen Hand an die Seite. Ihr Gesicht war
ein einziger Ausdruck des Schmerzes. Eine der beiden Katzen sprang
ihr auf den Bauch und kuschelte sich an sie, als wolle sie ihre
Herrin trösten. »Sehen Sie, das ist wahre Liebe«,
sagte sie und streichelte über das glänzende Fell der
Katze, die daraufhin zufrieden schnurrte. »Du, meine kleine
Lilith, würdest mich nie im Stich lassen, nicht wahr? Du bist
anders als dieser Gott, den immer mehr Menschen als eine Lachnummer
entlarven. Machen Sie etwas aus dem Leben, Arved Winter. Wenn Sie
schon keine Seele haben, können Sie alles ohne Reue tun: Essen,
trinken, huren. Sie sind nichts anderes als ein Fleischklumpen, der
nach dem Tod wieder zu Dreck wird. Schade zwar, aber unausweichlich.
Wer etwas anderes glaubt, ist nur dumm.«
    Ihre Worte taten Arved weh, doch am meisten schmerzte ihn, dass er
seinen Gott verloren hatte. Was war Gott anderes als eine Projektion
des Menschen, die er sich zur eigenen Beruhigung geschaffen
hatte?
    »Es freut mich, dass unsere langen Gespräche eine solch
wunderbare Frucht getragen haben«, sagte Lydia Vonnegut, als sie
sich von dem Schmerzanfall erholt hatte. »Nun ist aus Ihnen ein
vollwertiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft
geworden.«
    »Ich habe meinen Himmel verloren«, flüsterte
Arved.
    »Aber Sie haben sich selbst gefunden, auch wenn das wohl
ziemlich desillusionierend war.«
    Wieder dieses keckernde Lachen. Wenn es einen Teufel gäbe,
würde er so lachen, dachte Arved. Er wollte nach draußen,
in den kalten Vorfrühlingstag. Er hasste dieses totenstille,
kalte Haus mit den schleichenden Katzen, hasste

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