Hexennacht
Sie sich zu dieser Entscheidung durchringen
konnten«, meinte Lioba, während sie ins Bad ging. Arved
blieb vor der Tür stehen, die sie aufgelassen hatte. Er
hörte, wie sie sich die Hände wusch. »Das ist ja
staubiger hier als zwischen meinen Büchern, und das will schon
etwas heißen«, sagte sie. Der schwache Hall im Badezimmer
verzerrte ihre dunkle und angenehm weiche Stimme ein wenig.
»Aber es hat sich gelohnt. Das hier ist ein schönes Haus.
Ich habe Thomas immer darum beneidet.«
Ihre Worte versetzten Arved einen Stich in die Seele. »Wissen
Sie, das alles erinnert mich an meinen Umzug vor etwas mehr als einem
halben Jahr«, sagte er. »Es war der Beginn einer
Katastrophe. Ich habe Angst, es könnte jetzt wieder so sein. Die
Situation ist die gleiche.«
»Nur weil Thomas Sie zum Alleinerben eingesetzt hat, wie
diese Lydia Vonnegut?«, rief Lioba aus dem Badezimmer.
Leise raschelnder Stoff deutete an, dass sie sich gerade die
Hände trocknete. Kurze Zeit später erschien sie im
Türrahmen und blieb dort stehen. Sie sah ihn mit ihren beinahe
schwarzen Augen fest an. »Thomas hat Ihnen sein Eigentum nicht
unter einer Auflage vermacht, sondern nur, weil er Sie sehr gemocht
hat.«
»Ich fühle mich schuldig an seinem Tod.«
»Das sind Sie nicht! Sie wissen, dass er vor dem
unausweichlichen Krebstod stand. Er ist ein Risiko eingegangen, indem
er uns geholfen hat, aber so ist er einem schlimmen Siechtum und
einem langen, schmerzhaften Tod zuvorgekommen.«
»Wissen Sie, dass heute wieder eine Hexennacht ist?«,
fragte Arved leise.
»Natürlich. Die Nacht vor Allerheiligen. Die Amis feiern
heute Halloween. Und da wir ihnen alles nachmachen müssen,
feiern wir es halt auch – obwohl es eigentlich ein irisches Fest
ist. Aber machen Sie sich nicht zu viele Gedanken. Sie sollten
einfach heute Abend im Haus bleiben und den Jungs, die an ihrer
Tür betteln kommen, ein paar Süßigkeiten geben.
Schließlich müssen Sie sich gut einführen, wenn Sie
hier leben wollen. Dann aber machen Sie die Tür wieder zu und
legen sich auf das Gästebett, das ich schon im Schlafzimmer
aufgestellt habe. Morgen ist der Spuk vorbei und es beginnt ein neues
Leben für Sie.«
Arved schaute sie eingehend an. Ihr dunkler Blick ruhte auf ihm.
Er spürte, dass er rot wurde. »Sie haben mir so
geholfen«, flüsterte er wie ein Schuljunge.
»Nicht der Rede wert«, wehrte Lioba ab, der dieses Lob
sichtlich peinlich war. »Außerdem war ich nicht allein.
Und es hätte alles noch in einer Katastrophe enden können,
wenn nicht Jochen W. Martin, sondern irgendein Schmierer vom Trierischen Volksfreund bei der Beerdigung als Journalist
dabei gewesen wäre.«
Arved nickte. Martin hatte dem Redakteur einfach gesagt, die
Leiche habe vorschriftsmäßig im Sarg gelegen, und
außer einem leicht hysterischen Ex-Pastor sei daran gar nichts
erwähnenswert. Also wurde nicht einmal ein kurzer Bericht
über die Exhumierung gebracht.
Lioba Heiligmann trat aus der Tür heraus und nahm sich ihre
Jacke, die sie in der Diele über einen Stapel Umzugskartons
gelegt hatte.
»Magdalena Meisen hat mir geschrieben«, sagte Arved
nachdenklich.
Lioba hielt in ihrer Bewegung inne und sah Arved neugierig an.
»Und das sagen Sie mir jetzt erst! Wie geht es ihr?«
»Sie schreibt, ihre Schwester habe sie herzlich aufgenommen.
Keine Ahnung, was sie ihr über die Ereignisse hier erzählt
hat. Jedenfalls gehe es ihr schon ganz gut, auch wenn sie ihren Mann
noch sehr vermisse. Aber die Sonne sei Balsam für sie und auch
die fremde Umgebung.«
»Das alte, chaotische Italien wird ihr helfen, mit ihrem
neuen Leben zurechtzukommen. Und Sie sollten ebenfalls froh sein,
nicht mehr in Ihrer alten Umgebung zu stecken. Ich an Ihrer Stelle
hätte nie wieder in den Keller gehen können.«
»Aber das alles waren doch nur Halluzinationen und
Einbildungen«, wiegelte Arved ab.
Lioba warf in gespieltem Entsetzen die Hände in die Luft.
»Glauben Sie mir, das war mehr!«
»Glauben?«
»Ach ja, ich hatte vergessen, dass Sie damit immer noch
Schwierigkeiten haben. Ich muss jetzt gehen, sonst schaffe ich es
nicht mehr, im Hellen in Trier zu sein.«
»Haben Sie Angst vor der Dunkelheit?«, fragte Arved ein
wenig spöttisch.
Lioba gab keine Antwort darauf. Sie zog sich die Lederjacke
über, die in einem seltsamen Kontrast zu ihrem staubigen Kleid
stand.
Arved versuchte es mit einer weiteren Frage, die ihm schon auf den
Lippen brannte, seit er Lioba zum ersten Mal gesehen hatte.
»Warum
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