Hexenopfer
sie loszulassen.
»Ich muss wissen, wer du bist!«
Ich bin jemand, der dir nichts Böses will.
»Bist du ein Bote von meinem Herrn, dem Satan?«
Nein, Esther, bin ich nicht. Meine Macht kommt von einem freundlichen, liebvollen Gott.
Als hätte das, was sie gehört hatte, sie erschreckt, schlug Esthers Griff um Genny plötzlich wie ein verfaulter Ast im Wind zu. Gennys Geist wirbelte durch endlose Wolken aus Dunkelheit. Schwarz. Giftig. Ein gefährlicher, unheiliger Strudel drohte. Genny wehrte sich nach Kräften, um zu entkommen.
Graue Schleier umfingen sie, verschwanden dann und hinterließen nur reines, weißes Licht. Sie seufzte abgrundtief, denn sie wusste, dass sie frei war und alles wieder unter Kontrolle hatte.
Sie schlug die Augen auf und schaute zuerst Dallas, dann Jacob an. Beide Männer hatten sich mit besorgten Mienen zu ihr vorgebeugt.
»Ich habe den Mörder nicht erreicht«, sagte Genny mit schwacher Stimme. »Ich habe Kontakt zu einer Frau aufgenommen, die sich selbst als Hexe bezeichnet, eine, die schwarze Magie ausübt.«
»Wie ist das passiert?«, fragte Jacob. »Wenn du dich auf Cherokee County konzentriert hast, muss das bedeuten …«
»Sie lebt in Cherokee Pointe«, teilte Genny ihnen mit. »Esther Stowe, die Frau des Geistlichen.«
Esther lief die Treppe hinauf ins Bad, duschte rasch, wusch das Blut von ihrem Körper und strich antiseptische Creme auf ihre Schnittwunden. Sie konnte nicht glauben, was passiert war. Begriff nicht ganz, was es zu bedeuten hatte. Aber sie wusste ohne Zweifel, dass sie sich telepathisch mit einem anderen Geist verbunden hatte. Doch das war niemand gewesen, der an das Okkulte glaubte, nicht so eine wie sie.
Die Stimme hatte gesagt, sie sei keine Hexe, was Esther nicht glaubte. Wer auch immer eine so unglaubliche Macht besaß, musste mindestens eine Hohepriesterin sein, wenn auch eine Hohepriesterin in der Kunst der weißen Magie. Wenn sie sich doch nur wieder mit dieser Person verbinden könnte.
Esther öffnete ihre Schranktür, zerrte eine graue Jogginghose vom Bügel und schlüpfte hinein. Sie zog Socken und Schuhe an und ging zur Haustür. Nachdem sie ihren schwarz-weißen Wollmantel vom Garderobenständer in der Diele genommen hatte, eilte sie aus dem Haus und ließ die Tür unverschlossen. Sie lief den Bürgersteig entlang, fing mehrmals an zu rennen und fiel schließlich in rasches Schritttempo. Vom Pfarrhaus bis zur Kirche, die einen halben Block entfernt lag, schaffte sie es in Rekordzeit.
Sie hoffte, dass Haden allein war. Er verbrachte viel zu viel Zeit damit, die Mitglieder seiner Gemeinde zu trösten und zu besänftigen. Im Grunde seines Herzens war Haden ein Gutmensch, trotz seines eigenartigen Verhaltens. Als sie ihn mit siebzehn kennengelernt hatte, war er Geistlicher in der Kirche, die ihre Tante Theda in Abilene, Texas, besuchte. Noch ehe ein Monat vergangen war, hatten sie bereits miteinander geschlafen, und sobald sie achtzehn war, hatten sie geheiratet. Zum Teufel, sie hätte jeden geheiratet, nur um von Tante Theda und aus Abilene wegzukommen. Zunächst war der Sex gut gewesen, und Haden war in sie vernarrt, hatte ihr alles gegeben, was ihr Herz begehrte. Aber es hatte nicht lange gedauert, bis er seine kleinen sexuellen Eigenarten offenbarte. Er war ein Voyeur. Er sah gern zu. Nichts machte ihn mehr an, als zu beobachten, wenn sie es mit einem anderen Mann trieb.
Marty Gannon war ihr Liebhaber und ihr Lehrer geworden. Er hatte sie in den Satanismus eingeführt, und sie hatte bald ihre wahre Berufung entdeckt. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie sorgfältig an ihrem Gewerbe gearbeitet, hatte zunächst nach anderen Hexenzirkeln gesucht, wenn sie mit Haden von einer Gemeinde zur nächsten zog, hatte schließlich ihren eigenen Zirkel gegründet und sich zur Hohepriesterin geweiht.
Haden war strikt dagegen, dass sie schwarze Magie ausübte, aber als sie damit drohte, den Spaß und die Spielchen zu beenden, ohne die er nicht leben konnte, wurde er toleranter. Zunächst hatte er sich geweigert, an den Ritualen teilzunehmen, doch als sexuelle Orgien mit auf die Liste der Praktiken kamen, hatte Haden sich nicht fernhalten können. Er nahm nie selbst daran teil, aber er sah mit wollüstigem Behagen zu.
Esther klopfte an die Bürotür und wartete. Sie hatte gelernt, ihren Mann nicht zu überfallen, wenn er bei der Arbeit war.
»Herein«, sagte Haden.
Sie öffnete die Tür und spähte hinein. »Bist du allein?«
»Ja, ich
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