Hexenopfer
Dann versuchte er, telepathisch mit ihr zu sprechen, aber sie wollte nicht reagieren. Sie schloss ihn aus.
Genny wusste, dass es schwieriger werden würde, Esther zu lokalisieren, wenn sie hier an Ort und Stelle bliebe. Da sie nicht beweglich war, würde sie nicht imstande sein, sich immer näher an den Ort vorzufühlen, an dem der Mörder sein nächstes Opfer gefangen hielt. Es wäre schwieriger, aber sie konnte Esther verorten, ohne das Krankenhaus zu verlassen. Das war die einzige Möglichkeit, das Leben der Frau zu retten.
Genny richtete ihre Gedanken auf Esther. Jede Faser ihres Seins konzentrierte sich darauf, die Frau zu lokalisieren. Dunkelheit umwirbelte sie, teilte sich und hinterließ kalte, graue Schatten. Wo bist du, Esther? Wo bist du?
Keine Antwort.
Genny versuchte weiter, die Verbindung herzustellen. Die Macht in ihr hatte Mühe, sich zu regenerieren, doch Genny wurde bald klar, dass ihre Macht erschöpft war. Sie war körperlich verletzt worden, hatte eine Operation hinter sich und an diesem Abend ihre hellseherische Kraft benutzt, um sich mit dem Mörder zu verbinden. Das alles hatte ihre psychischen Kräfte verbraucht.
Gefühlswallungen setzten sich in ihrer Kehle fest. Tränen rannen aus ihren Augen. Sie hob die Hand und wischte die Nässe von ihren Wangen.
»Sie weint«, sagte Jazzy.
»Genny?« Dallas fuhr ihr mit der Hand über die feuchte Wange.
Sie schlug die Augen auf und schaute ihn mit verschwommenem Blick an. »Sag Jacob das mit Esther. Und erzähl ihm, dass ich ihm nicht helfen kann. Ich bin viel zu schwach, um zu …« Ihre Stimme versagte. Schwäche übermannte sie.
»Gott sei Dank.« Jazzy schaute Dallas an. »Rufen Sie Jacob an, und treffen Sie sich mit ihm. Sehen Sie zu, was Sie tun können, um Esther Stowe zu finden. Ich werde hier bei Genny bleiben.«
»Sie wird sich doch wieder erholen, oder?«
Jazzy nickte. »Wenn sie eine Nacht lang durchgeschlafen hat, dürfte es ihr wieder gut gehen.«
Als Genny klar wurde, dass Dallas ging, versuchte sie ihn zu rufen, doch sie konnte nicht einmal den Mund öffnen. Die Augenlider wurden ihr schwer und fielen zu, ob sie es wollte oder nicht.
Der Schlaf forderte sein Recht für die Nacht.
26
Dallas wusste es zu schätzen, dass Jacob keine Skrupel hatte, ihn an der Befragung der drei Verdächtigen teilnehmen zu lassen, die ihre Liste anführten: Carson, Pierpont und Upton. Wenn sich herausstellte, dass auch nur einer der drei an diesem Abend nicht da war, könnten sie die Liste auf einen Verdächtigen reduzieren. Und wenn sie alle drei antrafen, gab es zwei Möglichkeiten – entweder hatte der Mörder Esther versteckt und würde gegen Morgen dorthin zurückkehren, oder ein anderer als einer der drei war der Mörder. Und gnade ihnen Gott, wenn Letzteres der Fall war, denn dann würden sie ganz von vorn anfangen müssen.
Dallas stand neben Jacob, als der bei den Uptons klingelte. Die Haushälterin kam in Morgenmantel und Hausschuhen an die Tür.
Als sie Jacob erkannte, schnappte sie nach Luft. »Herr im Himmel, was ist los, Sheriff Butler?«
»Nichts, Dori«, antwortete Jacob. »Zumindest hoffen wir das. Aber wir müssen Mr Jamie sprechen. Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass der Sheriff ein paar Worte mit ihm wechseln möchte?«
»Du liebe Güte, wissen Sie, wie spät es ist?« Sie bedachte Jacob mit einem strengen Blick.
»Erst kurz nach zehn«, antwortete Jacob.
»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Mr Jamie hier ist. Er ist dauernd unterwegs, seit er nach Hause gekommen ist. Aber ich werde nachsehen, also kommen Sie ruhig rein. Sie können gleich hier im Vorraum warten.«
Jacob nahm seinen Stetson ab, als er ins Haus trat. »Danke.«
Bevor Dori die Treppe erreichte, kam Big Jim Upton aus seinem Arbeitszimmer. »Was zum Teufel geht hier vor?« Er schaute von Jacob zu Dallas. »Warten Sie, Dori.«
Die Haushälterin blieb sofort stehen.
»Gehen Sie wieder zu Bett«, sagte Jim. »Ich werde mit Sheriff Butler sprechen.«
»Wir müssen mit Jamie reden«, sagte Jacob.
»Der Junge ist unpässlich«, erwiderte Jim. »Kann sein, dass er eine leichte Lebensmittelvergiftung hat.«
»Tut mir leid, das zu hören, aber ich muss nur ein paar Minuten mit ihm sprechen.«
»Worüber?«
Jacob schnaubte.
Dallas fragte sich, wie die Chancen wohl standen, dass Jamie Upton tatsächlich oben war und sich nach Erbrechen und Durchfall erholte, oder ob er, wie Dori es formuliert hatte, unterwegs war.
»Eine weitere Frau wird
Weitere Kostenlose Bücher