Hexentage
diesem sonnigen ersten Augusttag des Jahres 1636 wagte sich kein einziger Händler auf den weitläufigen Platz.
Anna erkannte auf der Rathaustreppe eine hochaufgeschossene |10| Gestalt. Es handelte sich um den Ratsherren Jobst Voß, der offensichtlich nach jemandem Ausschau hielt. Er stierte in Richtung der Straße, die zum Dom führte, dann zuckte sein Gesicht plötzlich zur Seite, und er fixierte Anna mit tiefliegenden, arglistigen Augen.
Für einen Moment glaubte Anna den Anflug eines hämischen Grinsens auf seinem Gesicht zu erkennen, doch im nächsten Augenblick drehte Voß sich auch schon wieder ab und stapfte in das Rathaus. Von Jobst Voß konnte Anna nichts Gutes erwarten; er war ein enger Vertrauter des Bürgermeisters, der wiederum die unheilvollen Gerüchte, die man über sie verbreitete, so begierig aufnahm wie ein Kind die Muttermilch.
Nachdenklich kehrte Anna in die Apotheke zurück, wo sie ihr erzürnter Ehemann empfing.
»Diese Frau machte auf mich nicht den Eindruck, als wäre sie in der Lage gewesen, deine Dienste zu bezahlen«, rief er.
»Diese Frau«, entgegnete Anna, »ist kaum in der Lage, sich und ihren Sohn zu ernähren.«
»Also hast du kein Geld von ihr genommen.«
»Natürlich nicht.«
Herrje,
dachte Anna.
Wie würde er reagieren, wenn er wüßte, daß ich ihr sogar etwas von seinem Geld zugesteckt habe?
Heinrich Ameldung fuhr sich mit den Händen durch sein schütteres Haar »Anna, dies hier ist eine Apotheke und kein Kloster, das Almosen an Bettler und Herumtreiber verteilt.«
»Aber wir sind Christen, und darum ist es unsere Pflicht, den Bedürftigen zu helfen. Oder willst du das etwa abstreiten?«
Er wußte im Grunde, daß sie Recht hatte, und zuckte deshalb resignierend mit den Schultern. »Du hast einfach ein zu großes Herz. Wenn es sich herumsprechen sollte, daß du Arzneien ohne Bezahlung herausgibst, wird das eines Tages noch uns und die gesamte Osnabrücker Ärzteschaft in den Ruin treiben.«
Anna lachte und schloß ihn in die Arme. Auch wenn er sich äußerlich bärbeißig und kühl gab, wußte sie doch um seinen |11| guten Charakter. Er beschwerte sich oft darüber, daß sie Arzneien an die Armen verschenkte, aber er verbot es ihr auch nicht.
Ein Pochen an der Tür ließ Anna zusammenfahren. Es klang energisch, nicht wie das zumeist zögerliche Klopfen der Kranken, die ihr Haus aufsuchten. Heinrich Ameldung löste sich von ihr und öffnete die Tür.
Abrupt verschafften sich zwei mit Degen bewaffnete Büttel und ein untersetzter Amtmann Eintritt in die Apotheke. Alle drei blickten recht finster in Annas Richtung. Hatte der Ratsherr Voß nach diesen Männern Ausschau gehalten? Anna spürte, daß ihre Knie weich wie Teig wurden, doch sie zwang sich, keine Schwäche zu zeigen.
»Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?« fragte Heinrich Ameldung, der bewundernswert ruhig blieb. Weitaus nervöser wirkte der Amtmann, doch man merkte ihm an, wie bemüht er darum war, Entschlossenheit an den Tag zu legen, und so verkündete er mit lauter, aber schwankender Stimme: »Mei ster Ameldung, Eure Frau steht unter dem Verdacht, die Schwarze Taufe empfangen und Zauberei angewandt zu haben. Es ist daher der Beschluß des ehrbaren Osnabrücker Rates, daß Frau Anna Ameldung, geborene von der Heiden, zum Armenhof geladen werde, um sich einer Befragung zur Ermittlung ihrer Schuld zu unterziehen.«
Ameldung trat einen Schritt auf den Amtmann zu und funkelte ihn aus zornigen Augen an. »Wollt Ihr behaupten, mein Weib sei eine Hexe?«
»Dem Rat liegen Beweise vor, nach denen …«
»Der Rat«, fiel ihm Ameldung höhnisch ins Wort, »stellt nichts weiter dar als eine Ansammlung abergläubischer Dummköpfe, die in Panik gerät, wenn des Nachts eine Katze heult.«
Der Amtmann hob warnend einen Finger. »Mäßigt Eure Zunge, Meister Ameldung. Euch droht eine Geldstrafe, wenn Ihr den Rat beleidigt.«
|12| Anna Ameldung begriff, daß sie sich zu sicher gefühlt hatte. Das Gerücht, sie stehe mit dem Teufel im Bunde, machte bereits seit zwei Jahren die Runde in der Stadt, doch erst seit Anfang dieses Jahres, als in Osnabrück zum ersten Mal seit fast einem halben Jahrhundert Frauen unter dem Verdacht der Hexerei festgenommen und hingerichtet worden waren, hatte Anna erkannt, welche Gefahr dieses bösartige Gerede, das einem dummen Scherz entsprungen war, für sie bedeuten konnte. Trotz allem hatte sie im Grunde nie wirklich erwartet, daß es der Rat wagen würde, die Frau eines der
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