Hexentage
Betrachters auf sich, sondern vor allem die beiden großen Fenster, in die vor kurzem teure Scheiben aus kristallenem Glas eingesetzt worden waren, die im Unterschied zu den üblichen braunen Butzenscheiben ein herrlich strahlendes Licht in den Raum fallen ließen. |22| Nur wenige Häuser in Minden konnten die Mittel für eine solch kostspielige Extravaganz aufbringen. Johann Albrecht Laurentz war einer dieser wohlhabenden Männer. Er gehörte seit mehr als sieben Jahren dem Mindener Rat an und galt als anerkannter Rechtsgelehrter. Jakob schätzte sich überaus glücklich, daß seine Eltern ihm den Anschluß an die Familie Laurentz ermöglicht hatten. Sein Vater, selbst ein gut gestellter Beamter, hatte vor sechs Monaten das Eheversprechen mit Laurentz’ jüngster Tochter Agnes arrangiert und Jakob zudem in der Entscheidung bestärkt, ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität von Rinteln aufzunehmen. In wenigen Jahren, wenn er seinen Abschluß erworben hatte, würde er schließlich die erforderliche Stellung besitzen, Agnes zu heiraten und eine Familie zu gründen.
Als man ihm Agnes vorgestellt hatte, war er von ihr weder angetan noch enttäuscht gewesen. Gewiß besaß er das Recht, ein solches Ehearrangement abzulehnen, doch die Vorteile, die eine Verbindung mit der Familie Laurentz für ihn mit sich brachten, waren zu offensichtlich, um auf den Vorschlag seiner Eltern nicht einzugehen.
Agnes war eine hochaufgeschossene, schlanke, fast schon dürr zu nennende Frau. Sie besaß ein ernstes Wesen, lachte selten und wenn doch, gewann Jakob den Eindruck, als wäre es ihr stets ein wenig peinlich. Im Haushalt war sie pflichtbewußt und tüchtig und zudem von tiefer Gottesfürchtigkeit geprägt. Alles in allem eine Frau, für die Jakob keine flammende Liebe empfinden konnte, der er aber doch genug Respekt und Sympathie entgegenbrachte, um sie als sein künftiges Eheweib zu akzeptieren. Er nahm an, daß Agnes ähnlich über ihn urteilte.
Da seine Studienzeit erst im Januar des nächsten Jahres beginnen würde, hatte Johann Albrecht Laurentz seinem zukünftigen Schwiegersohn angeboten, einige Monate in seinem Haus zu wohnen, um ihm bei seiner juristischen Tätigkeit über die Schulter zu schauen und auch um seine Braut besser kennenzulernen. |23| Jakobs Familie nahm dieses Angebot gerne an, denn er war das älteste von sieben Kindern, und der Platz in ihrem Haus war schon immer knapp bemessen gewesen.
»Hier bist du«, sagte er, als er das Salonzimmer betrat. Agnes hatte vor dem Fenster Platz genommen und war so konzentriert in die Heilige Schrift vertieft, daß man hätte annehmen können, sie wäre zu Stein erstarrt.
Ohne ihm Beachtung zu schenken, saß sie kerzengerade und völlig reglos da, nur ihre Augäpfel bewegten sich, wenn sie den Worten der Psalmen folgten. Jakob zog einen Stuhl heran und setzte sich neben sie. Er konnte erkennen, daß sie das Zweite Buch Mose aufgeschlagen hatte.
Er sprach sie bei ihrem Namen an, doch sie reagierte nicht darauf. Agnes schien wirklich verstimmt zu sein. Eine gewisse Sturheit hatte Jakob in den letzten Wochen zur Genüge an ihr kennengelernt. Im Grunde war ihr Verhalten anstrengend, doch auf eine seltsame Weise reizte es ihn auch. Viele Männer bevorzugten Frauen schlichteren Gemütes, die sich ihnen bereitwillig hingaben und ihnen nach dem Mund redeten. War es nicht eine ungleich größere Herausforderung, einer strengen Frau ein Lächeln oder ein nettes Wort zu entlocken?
»Bist du verstimmt?« fragte Jakob vorsichtig.
Ihre Augen wandten sich nicht von der Bibel ab.
»Ich nehme an, du mißbilligst es, daß ich deinen Vater nach Osnabrück begleiten werde.«
Agnes wandte den Kopf, so daß sie ihn mit einem herablassenden Blick aus kühlen, hellblauen Augen strafen konnte, der keinen Zweifel daran ließ, daß sie sich aufs Tiefste gekränkt fühlte.
Herrje, das Eheleben mit dieser Frau wird zu keinem Vergnügen werden,
überlegte er ernüchtert.
Vielleicht ärgerte es sie aber auch nur, daß er nicht mit ihr über diese Angelegenheit gesprochen hatte. Jakob fragte sich, warum er es eigentlich nicht übers Herz gebracht hatte, Agnes |24| sein Vorhaben mitzuteilen. Wahrscheinlich lag es an ihrer ausgeprägten Abneigung gegen alles, was nur den leisesten Verdacht der Hexerei mit sich führte. Ihr Vater war von dem Osnabrücker Bürgermeister Wilhelm Peltzer geladen worden, um ein Gutachten über einen nicht alltäglichen Hexenprozeß zu erstellen, und er
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