Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns
müssen«, fuhr er fort, ohne Rowlf die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. »Wenn wir am Haupteingang erscheinen, warnen wir Robert frühzeitig. Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
»Wenn er überhaupt hier ist«, murmelte Howard.
»Zweifeln Sie etwa daran?«, fragte Richardson.
Howard schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Schließlich deckt sich das, was Sie uns erzählt haben, genau mit unseren Vermutungen.«
»Dann können wir ja weitergehen«, stellte Richardson übellaunig fest.
Er wirkte gereizt und ungeduldig und alle Freundlichkeit war von ihm gewichen. Howard konnte es ihm nicht verdenken. Schließlich war es nicht gerade ein beruhigendes Gefühl, einen Jahrhunderte alten Gang benutzen zu müssen, der noch nicht einmal durch Stempel gesichert war.
Durch den nackten Fels zogen sich Risse und Sprünge und es war wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis alles in sich zusammenbrach. Je weiter sie kamen, so unbehaglicher fühlte sich Howard. Hätte er vorher gewusst, in welchem Zustand sich der Geheimgang befand, hätte er sich zweimal überlegt, diesen Weg zu wählen.
Aber er ahnte, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Es war sowieso mehr Glück als Verstand gewesen, ausgerechnet auf Richardson zu treffen, der schon seit Jahren eng mit Baltimore zusammenarbeitete. Er gehörte zu einer entschlossenen Gruppe Männer und Frauen, die sich dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis widmete.
Offiziell galt dieses Haus als ein Sanatorium für Geisteskranke aus wohlhabenden Familien, aber das war nur der äußere Schein. Viele der Insassen waren tatsächlich geistig verwirrt, aber sie hatten den Verstand verloren, weil sie Kontakt zu den Mächten der Finsternis gehabt und dies nicht verkraftet hatten.
Streng von der Außenwelt abgeschirmt, kümmerte man sich hier um sie, vor allem aber um diejenigen, die immer noch unter einem finsteren Einfluss standen oder es sich zumindest einbildeten, sodass sie keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr bildeten.
Nur wenige wussten überhaupt von diesem Sanatorium, und noch weniger wussten, welchem Zweck es in erster Linie diente.
Um das gemeinsame Risiko so klein wie möglich zu halten, verkehrten sie für gewöhnlich nur unter falschen Namen miteinander. Richardson war Howard bislang nur unter dem Namen Winter bekannt gewesen und er hatte nicht geahnt, dass Winter/Richardson in unmittelbarer Nähe von Baltimore lebte.
Richardson blieb stehen und deutete mit der Fackel nach vorne. »Wir sind jetzt unter dem Haus«, flüsterte er. »Diesen Teil des Gewölbes kennen nur noch Baltimore und ich. Hier war einst ein ausgedehnter Komplex …«
Er brach abrupt ab, legte den Kopf auf die Seite und trat einen Schritt vor. Howard wollte etwas sagen, aber Richardson winkte ab.
»Hören Sie es auch?«, fragte er leise. In seinem Gesicht spiegelte sich Besorgnis. »Es klang wie ein Schrei.«
Howard schüttelte den Kopf. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts hören. Trotzdem fühlte er sich alles andere als wohl in seiner Haut. Die Enge des Ganges und seine düstere Atmosphäre, die nur sehr unvollkommen von der blakenden Fackel erhellt wurde, zerrte an seinen Nerven. Es war durchaus nicht nötig, hier auch noch irgendetwas zu hören, um nervös zu werden.
»Das wa nich ein Schrei«, sagte Rowlf. »’s wa’n mehrere.«
Richardson nickte. »Also doch«, murmelte er. Er drehte sich zu Rowlf um und sah ihn zweifelnd an. »Und jetzt? Hören Sie noch etwas?«
Rowlf hob die Hand und schloss die Augen. Sein breites Gesicht blieb ausdruckslos, und Howard hätte ihn am liebsten angefahren, um zu erfahren, was hier eigentlich vorging. Aber er fürchtete, dass man ihn hören könnte.
Es war nur die Frage, wer man war.
Ein Schrei kam nicht von ungefähr. Wenn Richardson den Gang kannte, dann vielleicht auch andere. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, dass hier Gesindel hauste, dem man besser aus dem Weg ging. Womöglich bot der Geheimgang einer ganzen Gruppe von Mördern und Halsabschneidern Unterkunft. Howard musste an die Viehdiebe denken, von denen er im Wirtshaus gehört hatte. Man schien ihnen in dieser Gegend jede Art von Gewalttat zuzutrauen.
»Jetzt war’sn Grolln«, nuschelte Rowlf. »Erst dieser Schrei, un dann ’n Grolln.«
Richardson nickte. Nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, fühlte er sich höchst unbehaglich. »Irgendjemand ist in den Gewölben«, flüsterte er. Er sprach so leise, als fürchtete er, dass man ihn hören
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