Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
breitschultrigen Riesen die schmalen, für meine an englische Verhältnisse gewohnten Sinne überaus steile Treppe hinabstieg.
Die freundliche Behandlung, die mir bisher zuteil geworden war, mochte durchaus täuschen. Vielleicht war es die gleiche Art von Zuvorkommenheit, die man einem zum Tode Verurteilten in seiner letzten Nacht angedeihen ließ. Looskamp und seine Brüder waren Tempelherren, und wenn ich von Necron und seinen Mordbuben absah, dann stand dieser Orden ziemlich einsam an der Spitze meiner Feinde.
Meiner menschlichen Feinde.
Wir erreichten das Erdgeschoss. Mein Führer gebot mir, mit einer Geste zurückzubleiben und klopfte an eine gewaltige, zweiflügelige Tür, die genau gegenüber des Einganges tiefer in das Gebäude hineinführte. Einen Moment lang musterte ich die Eingangspforte beinahe sehnsüchtig – sie sah recht stabil aus, aber es gab in jedem Flügel ein großes, bunt bemaltes Fenster aus Bleiglas und ohne irgendwelche Gitter oder sonstigen Zierrat. Ich traute mir durchaus zu, mit einem beherzten Sprung das Glas durchbrechen zu können.
Aber ich verwarf den Gedanken beinahe ebenso rasch wieder, wie er mir gekommen war. Die scheinbare Sorglosigkeit, mit der mich mein »Diener« stehen gelassen hatte, bewies mir, wie sicher er meiner war.
Mit einem lautlosen Seufzer wandte ich mich wieder um, trat neben ihn und wartete, bis er die Tür geöffnet hatte.
Dahinter lag ein großer, überraschend heller Raum; etwas, das wie eine gelungene Mischung aus Bibliothek, Arbeitszimmer und Salon aussah. An den Wänden wechselten sich Bücherborde mit Bildern, antiken Waffen und kleinen, aus edlen Hölzern gefertigten Schränkchen ab und vor dem mächtigen Kamin, in dem trotz der Jahreszeit ein mächtiges Feuer loderte, thronte ein Monstrum von Tisch, wie ich noch keines gesehen hatte.
Der Mann hinter diesem Tisch wirkte verloren angesichts der Unmenge von Pergamentrollen, Karten und Büchern, mit der die Platte überladen war. Und gleichzeitig … es fiel mir schwer, das richtige Wort zu finden … würdevoll. Sein grau gewordenes, streng zurückgekämmtes Haar gab dem faltigen Gesicht darunter etwas Weises und die eingesunkenen Augen, vom Alter längst trüb geworden, musterten mich mit einer sonderbaren Mischung aus sanfter Neugier und Kälte. Er war alt, dieser Mann. Uralt.
»Mister Craven!«
Der Klang der Stimme ließ mich zusammenzucken. Sie war hinter mir erklungen! Erschrocken fuhr ich herum.
Looskamps Lippen verzogen sich zu einem verzeihenden Lächeln. Er hatte neben der Tür gestanden, wohl nicht aus Zufall in einem Winkel, in dem ich ihn nicht sofort sehen konnte. Überhaupt hatte ich plötzlich das bestimmte Gefühl, dass der Eindruck, den der weißhaarige Alte auf mich gemacht hatte, genau berechnet gewesen war.
»Ich hoffe, Sie haben sich gut erholt«, sagte Looskamp, als ich auch nach endlosen Sekunden noch keinen Laut von mir gab.
»Das … Zimmer ist sehr komfortabel, danke«, sagte ich. »Nur fehlt die Klinke an der Tür. Sie sollten einen Schlosser kommen lassen.«
Looskamp lachte. Er löste sich mit einer Bewegung, die seine schwerfällige Erscheinung Lügen strafte, von seinem Platz an der Tür und ging an mir vorbei auf den Tisch zu, hinter dem der Alte saß. Ich folgte ihm unaufgefordert, blieb zwei Schritte davor stehen und blickte abwechselnd zu Looskamp und dem Alten.
Wie der schwarzhaarige Flame trug auch der Greis das weiße, mit einem blutroten Kreuz bestickte Zeremonienhemd der Tempelherren. Der einzige Unterschied war, dass das Kreuz auf seiner Brust nicht gleichschenkelig war, sondern dem glich, das man in Kirchen und auf Bibeln zu sehen pflegt. Er musste sehr weit oben in der Hierarchie der Templer stehen. Wenn mich meine Erinnerung nicht trog, trugen dieses Kreuz nur wenige, mächtige Mitglieder des Zirkels.
»Mister Craven«, sagte Looskamp mit einer Geste auf den Alten, »darf ich Ihnen Jean Balestrano verstellen? Er hat sich sehr auf dieses Treffen gefreut.« Er lächelte flüchtig. »Man kann sagen, dass Ihr Name mittlerweile auch in den höchsten Rängen unseres Ordens einen gewissen Ruf genießt.«
»Balestrano?« Der Name kam mir bekannt vor, irgendwie auf unangenehme Weise, aber ich vermochte ihn nicht einzuordnen.
»Bruder Balestrano«, sagte Looskamp mit eigenartiger, fast lauernder Betonung, und als ich ihn ansah, gewahrte ich ein sonderbares Flackern in seinen Augen. Was war das? Ehrfurcht?
»Das … sagt mir leider nichts«, antwortete ich
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