Flucht vor den Desperados
Vorwort
Meine Urgroßmutter Gertrude Corinne Prince wurde 1877 als eins von sechs Geschwistern in Battle Mountain, Nevada, geboren. Ihr Vater war ein sogenannter Teamster (das heißt, er transportierte Waren und Menschen mit einem von Maultieren gezogenen Gespann). Aus diesem Grund zog die Familie Prince schon bald nach Sutro, Nevada, eine Stadt in der Nähe der großen Silberminen des Comstock-Gebietes. Als junge Frau arbeitete Corinne in der Carson-City-Münzstätte, bevor sie schließlich zu ihrer Familie nach Olympia, Washington, zog. Später heiratete sie und schließlich verschlug es sie ins südliche Kalifornien. Nach ihrem Tod im gesegneten Alter von 99 Jahren tauchten dann in einer dunklen Ecke ihres Dachbodens einige Kontobücher auf.
Bei einem meiner letzten Besuche zu Hause in Kalifornien half ich meiner Mutter bei der Entrümpelung. Dabei stießen wir auf diese staubigen Kontobücher, die noch immer mit einem verblichenen blauen Band verschnürt waren. Wir wollten sie schon wegwerfen, knoteten dann aberdoch das Band auf, um zuvor noch einen schnellen Blick hineinzuwerfen. Stellt euch unsere Überraschung vor, als wir entdeckten, dass es sich nicht um langweilige Rechnungseinträge handelte, sondern um aufregende Berichte, die von einem zwölfjährigen Kind geschrieben worden waren! Dieses Kind hatte während der Tage des frühen Silber-Booms in Virginia City gelebt und sich als Detektiv betätigt. Meine Mutter konnte sich nicht erklären, wie ihre Großmutter an die Bücher gekommen war, denn sie haben nichts mit unserer Familie zu tun und wurden offenbar fünfzehn Jahre vor der Geburt von Corinne Prince geschrieben. Doch trotz ihres mysteriösen Ursprungs habe ich mich entschlossen, diese Tagebücher zu veröffentlichen. Sie geben einen faszinierenden Einblick in das Leben im »Wilden Westen« während der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs vor 150 Jahren.
Ich habe so wenige Textänderungen wie möglich vorgenommen, hauptsächlich einige Formulierungen ersetzt, die modernen Lesern unangebracht vorkommen könnten. Außerdem habe ich die meisten Rechtschreibfehler, Abkürzungen und »&«-Zeichen entfernt. Da einige der Slang- und Fachausdrücke nicht jedem geläufig sein dürften, gibt es am Ende des Buches ein illustriertes Glossar. Die Illustrationen stammen von meinem Ehemann Richard und sind dem Werk eines jungen afroamerikanischen Künstlers des 19. Jahrhunderts, Grafton T. Brown, nachempfunden, der auch auf den Blättern dieser Kontobücher vorkommt. Es gibt zudem eine Karte, die zeigt, wie Virginia City im September 1862 ausgesehen haben könnte.
In den frühen 1860er Jahren veröffentlichten die Zeitungendes amerikanischen Westens oft erfundene Geschichten und taten so, als handele es sich um die Wahrheit. Einer der Reporter, die für diese Geschichten bekannt waren, war ein gewisser Sam Clemens. Er taucht ebenfalls in diesem Bericht auf. Manche seiner »New Stories« waren ausgesprochen absurd, brachten ihm aber auch einigen Ärger ein, weil die Leute sie für wahr hielten. Schließlich musste er wegen einer dieser Storys aus Nevada flüchten. Als Reporter in Virginia City probierte Clemens einige Pseudonyme aus, aber der Name, für den er sich dann schließlich entschied, war Mark Twain.
Ich bin mir nicht sicher, ob der folgende Bericht der Wahrheit entspricht oder nur eine Geschichte ist, wie sie Mark Twain geschrieben hätte. Die Entscheidung darüber überlasse ich euch.
Caroline Lawrence
London, England, 2011
KONTOBUCHBLATT 1
Mein Name ist P. K. Pinkerton, und noch bevor dieser Tag vorbei ist, werde ich tot sein.
Ich stecke im tiefsten Schacht einer Comstock-Silbermine fest, und drei Desperados kommen näher und näher.
Bis sie mich gefunden haben, bleiben mir mein Bleistift, diese Kontobuchblätter & ein paar Kerzen. Wenn ich schnell & klein schreibe, schaffe ich es vielleicht, einen Bericht darüber aufzusetzen, wie ich in diese Lage gekommen bin. Wer auch immer meine Leiche findet, wird dann um die unglücklichen Ereignisse wissen, die zu meinem Untergang geführt haben.
Und er wird dann auch wissen, wer schuld daran ist.
Folgendes hätte ich gern auf meinem Grabstein stehen:
P. K. PINKERTON
GEBOREN AM 26. SEPTEMBER 1850 IN HARD LUCK
GESTORBEN AM 28. SEPTEMBER 1862 IN VIRGINIA CITY
»DENN IHR SEID ALLZUMAL EINER IN CHRISTO JESU«,
GALATER 3, 28
RUHE IN FRIEDEN
Meine Pflegemutter Evangeline hat immer gesagt: Wenn Gott dir ein Geschenk macht, fügt er immer einen
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