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Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft

Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft

Titel: Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kralle verkrümmt, als hätte er in seinen letzten Sekunden versucht, sich an die harten Planken des Schiffsrumpfes zu klammern.
    Zehn, fünfzehn Sekunden lang stand ich vollkommen reglos da und starrte den Toten an. Es war nicht der Anblick der Leiche, der mich so erschreckte – der Anblick eines Toten, der noch dazu auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen ist, ist niemals sehr erbaulich, und er gehört wohl zu den wenigen Dingen, an die man sich nie gewöhnen kann –, aber es war etwas an ihm, was diesen Schrecken überdeckte und mich mit schierem Entsetzen erfüllte.
    Seine Kleidung.
    Der Mann trug einen schwarzen Umhang, bestickt mit dünnen, silbernen Fäden, die die Umrisse eines stilisierten Drachen abbildeten, darunter ebenfalls schwarze Hosen und eine Art lose fallender Bluse in der gleichen Farbe, dazu Stiefel und Handschuhe und eine turbanähnliche Kopfbedeckung, an der ein Tuch befestigt war, das sein Gesicht bis auf einen knapp fingerbreiten Streifen über den Augen bedeckte. Alles an ihm war schwarz.
    Ich kannte diese Kleidung. Ich war Männern wie ihm begegnet, vor nicht einmal sehr langer Zeit; die mir trotzdem vorkam, als läge sie Ewigkeiten zurück. Und ich hatte zu allen mir bekannten Göttern gebetet, sie nie, nie wiedersehen zu müssen.
    Einen Moment lang versuchte ich mit aller Gewalt, mir einzureden, dass ich mich täuschte, dass meine Erinnerungen und meine überreizten Nerven mir einen bösen Streich spielten. Aber ich sah rasch ein, dass das nicht stimmte.
    Der Gedanke war völlig widersinnig; das Geschehen hier hatte keinerlei Beziehung zu ihnen und selbst wenn, hätten sie nicht hier sein dürfen. Aber der Tote war da, und alles Leugnen brachte ihn nicht fort. Es gab nur eine Gruppe von Menschen auf der Welt, die sich auf diese Weise zu kleiden pflegten.
    Necrons Drachenkrieger!
    Ich starrte den Toten an, unfähig, irgendetwas anderes zu denken als diese beiden Worte, unfähig, etwas anderes zu empfinden als Erschrecken und Unglauben und Zorn und einen langsam aufkeimenden, immer stärker und stärker werdenden Hass.
    Necron.
    Wenn es einen Namen auf der Welt gab, der für mich alles Schlechte und Böse und Verabscheuungswürdige versinnbildlichte, dann diesen.
    Necron, der geheimnisumwitterte Herr der Drachenburg.
    Der Meistermagier, Herr des Bösen und aller dunklen Kräfte.
    Und der Mann, der mir den einzigen Menschen genommen hatte, den ich jemals wirklich geliebt hatte …
    Meine Priscylla.
    Es war wie ein Schlag in den Magen, schnell, warnungslos und so hart, dass ich mich für Sekunden krümmte, als hätte ich wirklich einen Hieb bekommen, der mir den Atem nahm.
    Die Vergangenheit hatte mich eingeholt, endgültig und in einem Moment, in dem ich am allerwenigsten damit gerechnet hatte. Der Tote vor mir war mehr als ein Toter, mehr als das Opfer eines heimtückischen Mordes. Er war ein Fanal, ein boshafter Wink des Schicksals, mit dem es mir mit aller Brutalität zeigte, wie wenig ich ihm hatte davonlaufen können. Der Anblick seiner schwarzen Kleidung und das, was sie für mich bedeutete, ließ die Vergangenheit auferstehen, die Bilder, die ich mit aller Macht aus meinem Bewusstsein zu verdrängen versucht hatte, und plötzlich begriff ich, dass alles, was ich seither erlebt und getan hatte, all diese verrückten und haarsträubenden Abenteuer, alle Gefahren, in die ich mich kopfüber gestürzt hatte, nur diesem einen Zweck gedient hatten – dem Vergessen.
    Ich hatte versucht, meine Vergangenheit zu begraben, sie mit einem Gebirge aus Gefahren und Abenteuern zu erschlagen. Aber das ging jetzt nicht mehr. Der Tote lag vor mir und er war real.
    Nachdem die erste Woge von Zorn und Hass – der in Wahrheit wohl nur ein Ausdruck meiner eigenen Hilflosigkeit sein mochte – vorüber war, begannen mir tausend Fragen durch den Kopf zu schießen. Wie kam der Mann hierher? Und – und das war das Wichtigste – warum?
    Zögernd kniete ich nieder, drehte ihn auf den Rücken und besudelte mir dabei die Hände mit seinem Blut.
    Als ich in sein Gesicht blickte, hätte ich um ein Haar aufgeschrien.
    Er war tot, aber seine Kehle war nicht durchschnitten worden, wie ich bisher angenommen hatte. Was ich sah, waren nicht die Spuren eines Messers, sondern Wunden, wie sie nur furchtbare Raubtierfänge schlagen konnten. Schaudernd drehte ich mich in der Hocke um, löste das Schwert aus seinen schlaffen Fingern und hielt die Klinge ins Licht. Auf dem rasiermesserscharfen Stahl war nicht der kleinste

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