Hexer-Edition 17: Das Auge des Satans
weißen Waffenrock mit dem blutigroten Kreuz, das Schwert in der Hand. Ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, zu seinem Gott zu beten, bevor er die Reise zu ihm antrat …
Das Erste, was ich wieder bewusst empfand, waren Schmerz und Übelkeit. Mein ganzer Körper schien nur aus diesen beiden Empfindungen zu bestehen. Dazu hatte ich einen Durst, der mich schier um den Verstand brachte.
»Wasser«, stöhnte ich und wunderte mich, weil man mir sofort ein Gefäß an die Lippen hielt. Das Wasser schmeckte brackig und schal, doch im Moment stellte es für mich das Köstlichste dar, was ich jemals getrunken hatte.
Erst als das brennende Gefühl in meinem Inneren ein wenig abgeklungen war, wühlten sich die ersten Fetzen der Erinnerung aus dem dunklen Abgrund des Nichts, der mein Gehirn verschlungen hatte. Für einen Moment schien ich in flüssiges Feuer zu tauchen und schrie vor Entsetzen auf.
»Ruhig, Sidi. Es ist vorbei«, hörte ich eine sanfte, beschwörende Stimme und fühlte mich gleichzeitig von zärtlichen und doch kräftigen Armen umklammert. Ich riss die Augen auf und sah in das Gesicht einer schönen Frau. Sie lächelte mich an und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
»Sill?«, fragte ich, da ich nicht genau wusste, ob diese Person Wirklichkeit oder nur ein Teil eines Traumes war.
»Ich bin es, Sidi. Oh, du warst wunderbar!« Ihre Stimme klang wie Honig und Zucker zusammen und erinnerte mich vollends an die unfassbaren Ereignisse. Ich setzte mich abrupt auf und starrte verwirrt auf die kleine Oase, in deren Schatten wir uns befanden.
»Wo ist die Wüstenburg, wo die Templer, und wo ist ER?«
»Verschwunden, Sidi! Du hast die Kraft des WESENS und die meine mit der deinen verschmolzen und die Templer durch Zeit und Raum verstreut. Die Entladung war so stark, dass sich auch das WESEN nicht mehr in dieser Zeit halten konnte, sondern in seine Epoche zurückgeschleudert wurde. Ich danke dir, dass du mich aus diesem Strudel des Verderbens gerettet hast.«
Diesmal schwang ein ehrfürchtiger Unterton in ihren Worten, der mich fast peinlich berührte. Und ein Hauch von Angst. War ich jetzt auch für sie zu einem Ungeheuer geworden? Zu einem … HEXER?
Ich sah sie genauer an. Nein, das war nicht der Blick einer Frau, die sich fürchtet. Eher im Gegenteil. Sie bewunderte mich und diese Bewunderung tat meinem kranken Herzen trotz allem gut. Und sie war noch immer die Sill el Mot, die ich kannte. Das bewiesen ihre nächsten Worte.
»Du hast die Templer und Mamelucken in alle Epochen verstreut, Sidi. Doch die Gefahr ist noch nicht vorüber.«
»Was ist denn überhaupt …«, begann ich – und verstummte mitten im Satz, als ich etwas Kleines, Glattes in der Hand spürte.
Es war das Yighhurat. das Auge des Satans, das mir Guillaume abgenommen hatte. Es war wieder da, als wäre nichts geschehen. Und doch war etwas anders. Es dauerte einige Sekunden, bis ich es erkannte. Das Auge war kalt und tot. Erloschen.
»Das ist eine lange Geschichte, Sidi«, antwortete Sill auf meine Frage. »Zu lang, sie dir jetzt zu erzählen. Das Wesen, das diese Sandrose und das Yighhurat schuf, ist ein Feind derer, die auch du bekämpfst. Aber nicht dein Freund«, fügte sie hinzu.
»Und … du?«
»Ich bin frei«, erklärte Sill, mit einer Überzeugung, die keinen Zweifel zuließ. »Mein Teil der Abmachung, die ich mit IHM getroffen habe, ist erfüllt. Ich bin frei und kann tun, was ich will.« Plötzlich wurde sie wieder sehr ernst. »Aber wir haben keine Zeit, Sidi. Lass uns aufbrechen. Es streifen noch immer versprengte Mamelucken hier herum. Sie werden uns töten, wenn …«
Sie brach ab. Ihre Augen weiteten sich, während sie an mir vorbei auf irgendetwas starrte, das hinter uns lag.
Abrupt drehte ich mich herum – und schrie vor Schrecken auf.
Die Wüste war verschwunden.
Der Himmel auch.
Stattdessen wälzte sich hinter uns eine gigantische, gelbbraunschwarze Mauer aus kochendem Sand heran, in der es ununterbrochen aufblitzte. Und sie kam näher. Rasend schnell näher.
»Der Todeswind«, flüsterte Sill. Und obgleich ihre Stimme nur ein Hauch war, lag ein Unterton darin, der mir deutlich genug sagte, dass das, was da auf uns zukam, alles andere als ein normaler Sandsturm war.
»Der Todeswind erwacht!«, wiederholte sie. »Allah straft uns für die Macht, derer wir uns bedient haben!«
Wir begannen zu rennen. Um unser beider Leben.
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