Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
Zischen und Rauschen erklang und aus der Tiefe von Cthulhus Grab schien ein dumpfes Grollen auf das Geräusch zu antworten.
»Nein!«, schrie – nein: kreischte ich. »Tu es nicht, Joshua! Es tötet dich!«
Er hörte meine Worte nicht einmal. Auf seinem Gesicht lag noch immer der gleiche, verzückte Ausdruck, den ich darauf gewahrt hatte, als er den schlafenden Gott in der Tiefe betrachtete, und ich wusste, was nun geschehen würde, denn ich hatte es schon einmal erlebt, in jedem einzelnen, furchtbaren Detail, und ich war unfähig, irgendetwas dagegen zu tun. Joshua hockte kaum zwei Schritte von mir entfernt auf dem Boden, doch ich war wie gelähmt. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr.
»Nein, Joshua!«, schrie ich noch einmal. »Tu es nicht! Es bringt dich um! Es bringt uns alle um!«
Tatsächlich zögerte er noch einmal – aber nur, um zu mir aufzusehen, mich mit einem seligen Lächeln anzublicken – und die Hände dann in das gleißende Licht am Grunde der Kiste zu senken.
Was ich erwartet hatte, geschah nicht. Als Priscylla das furchtbare Etwas, zu dem die SIEGEL verschmolzen waren, berührt hatte, hatte es ihr Fleisch verbrannt wie weiß glühendes Eisen; und ich spürte auch jetzt die furchtbare Hitze, die von dem wabernden, wie von zuckendem Leben erfüllten Etwas ausging.
Doch Joshuas Hände blieben unversehrt. Der Stoff seiner Jacke begann zu schwelen und zerfiel hier und da zu Asche. Auf dem Holz der Kiste erschienen dunkel verkohlte Flecken, aber Joshua blieb völlig unberührt. Etwas schützte ihn.
»Keine Angst, Robert«, sagte Crowley hinter mir. »Ihm wir nichts geschehen. SIE beschützen ihre Diener gut.«
»Solange sie sie brauchen, meinen Sie«, antwortete ich, ohne mich zu ihm herumzudrehen. Crowley schwieg. Trotzdem fuhr ich fort: »Begreifen Sie denn nicht, was hier geschieht, Crowley? Sie werden alle sterben! Sie werden Sie ebenso töten wie alle anderen, die ihnen gedient haben, und die sie nicht mehr brauchen! Ich habe es erlebt, hunderte Male. Sie sind das Böse an sich und wer sie berührt, der geht früher oder später zugrunde!«
»Vielleicht haben Sie sogar Recht, Robert«, sagte Crowley leise. »Doch wenn es so ist, so steht es nicht mehr in unserer Macht, irgendetwas daran zu ändern.«
Ich hörte die Worte kaum. Entsetzt und unfähig meinen Blick abzuwenden sah ich zu, wie Joshua das SIEGEL aus der Kiste heraus- und auf weit ausgestreckten Händen vor sich in die Höhe hob. Das schimmernde Gebilde pulsierte stärker und seine Bewegung war irgendwie … gierig. Sie nahm an Intensität zu, als er sich herumdrehte und das SIEGEL über den Rand des Schachtes hielt.
»Der Moment ist gekommen, Robert«, sagte Crowley. Ich hörte, wie er sich hinter mir bewegte und näher trat. Etwas raschelte.
Joshua streckte die Hände weiter aus und auch das giftig grüne Licht in der Tiefe des Schachtes, in dem Cthulhu schlief, begann nun im gleichen Rhythmus zu pulsieren wie das furchtbare Gebilde. Das Gefühl, das sich etwas näherte, dass etwas erwachte, wurde immer stärker.
Der Junge begann zu singen. Seine Lippen formten unheimliche, an- und abschwellende Laute, die eine bizarre Melodie intonierten, Klänge und Rhythmen, wie sie nie zuvor eines Menschen Ohr vernommen hatte. In der Luft lag plötzlich etwas wie ein elektrisches Knistern, ein Gefühl wie im Zentrum eines besonders heftigen Gewitters, nur unvorstellbar mächtiger und unbeschreiblich drohend.
Crowley trat mit einem gemessenen Schritt neben mich. Ich sah, dass er das Messer wieder hervorgezogen hatte und wie zum Stoß bereit in der Hand hielt. Sein Gesicht war ausdruckslos. Das grüne Licht aus dem Schacht spiegelte sich in seinen Augen, als wäre der Schädel dahinter ebenfalls von der unheimlichen Helligkeit erfüllt, die nichts mit wirklichem Licht gemein hatte.
»Also haben Sie doch gelogen«, sagte ich leise.
»Sie wissen, was nun geschehen muss«, antwortete er, ohne wirklich zu antworten. »Das Erbe des Hexers muss zur Gänze in das SIEGEL fließen, um es zusammenzufügen. Und es gibt nur einen Weg, wieder zu vereinen, was mit Gewalt auseinander gerissen wurde.«
»Einer von uns muss sterben«, sagte ich ganz leise.
Crowley nickte. »Ja. Bitte wehren Sie sich nicht, Robert. Es hätte keinen Sinn. Sie würden alles nur viel schlimmer machen.« Er zögerte, hob das Messer und sah mich an, als erwarte er, dass ich mich im allerletzten Moment doch noch zur Wehr zu setzen versuchte. Er begriff gar nicht, dass mir
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