Hibiskussommer
inneren Freundeskreis von Amanda Harmon vorgedrungen. Und damit meine ich nicht den Rand, an dem die anderen Möchtegern-Freunde herumhängen, sondern das glanzvolle, goldene innere Heiligtum derer, denen es erlaubt ist, bei ihr zu Hause herumzuhängen, in ihrem Auto mitzufahren, und die einen Platz auf der Kurzwahlliste ihres Handys ergattert haben.
Obwohl ich mir immer noch nicht ganz sicher bin, wie das passiert ist. Gerade noch hatte ich sie insgeheim aus der Ferne bewundert, wie schon seit der Grundschule, wo ich so tat, als würde ich mich über ihre Frisur und ihre Affektiertheit lustig machen (aber nur, weil meine damalige einzige Freundin sie wirklich verabscheute und ich glaubte, verheimlichen zu müssen, dass ich genauso sein wollte wie sie) und dann, durch einen unglaublichen Zufall, der sich auch noch als absolutes Kismet herausstellte, habe ich das Siegtor in einem harten Volleyballspiel im Sport erzielt, und danach ist sie zu mir gekommen und hat gesagt: »Hey, klasse Punkt!«
Und dann hat sie mir Fünf gegeben.
Und sie hat mir ein Kompliment über meine nagelneuen Nikes gemacht.
Und dann war ich irgendwie fast so was wie ihre beste Freundin.
Was dazu führte, dass ich meine alte beste Freundin loswerden musste.
Aber da wir uns sowieso irgendwie gestritten hatten, beschloss ich, es einfach zu tun und nicht zurückzuschauen.
Auf jeden Fall geschah das alles gerade noch rechtzeitig, um den für mich aufregendsten Sommer meiner bis dahin recht unaufregenden siebzehn Jahre anzukündigen, der jedoch von meinen Eltern, ihren Anwälten und dem persönlichen Coach meiner Mutter tragischerweise auf lediglich eine einzige Nacht verkürzt worden ist.
Allerdings muss ich zugeben, dass das für eine einzige Nacht eine ziemlich UNGLAUBLICHE Nacht war (daher die zwei Stunden Verspätung!), und da es wohl die einzige unglaubliche Nacht meines Lebens bleiben wird, schreibe ich lieber alles auf, damit ich mich immer daran erinnern kann.
Aber erst später, denn jetzt bringen die Stewardessen das Essen und ich bin am Verhungern.
17. Juni
Liebe Eltern,
vielleicht fällt Euch auf, dass dieser Brief auf einer Ellas-Ferry-Line-Serviette mit Colaflecken geschrieben ist. Das liegt daran, dass ich jetzt auf der Fähre nach Tinos sitze. Genau, auf der Fähre. Denn offenbar hat Tinos keinen Flughafen, was bedeutet, Ihr schickt mich an einen Ort, an dem sich kein Flugzeug zu landen traut!
Vielen Dank auch!
Vielleicht ist Euch nicht aufgefallen, dass auf Mykonos durchaus Flugzeuge landen, und zwar jede Menge. Daher frage ich mich, warum Ihr mich nicht habt dorthin schicken können? Denn wie der supersüße Italiener sagt, neben dem (und seinem Freund) ich während des Fluges von Athen nach Mykonos gesessen habe, fährt NIEMAND nach Tinos.
Niemand außer – ach ja, richtig: außer MIR !
Eigentlich wollte ich in der Serviette meinen Kaugummi entsorgen, aber dann fiel mir ein, dass ich Euch dann nur das unglückliche Resultat Eurer Fehlentscheidung vorenthalten würde.
Alles Liebe,
Eure extrem unglückliche – aber das ist Euch ja egal –
Colby
Colbys Tagebuch für verzweifelte Tage, an denen die Steckdose so merkwürdig ist, dass sie nicht mal ihren Computerakku aufladen kann
18. Juni
Ich weiß nicht mal, wie spät es ist, und schon gar nicht, welcher Tag. Ich weiß nur, dass ich aufgewacht bin und es draußen dunkel ist, aber ob das eine Nachtdunkelheit oder eine frühe Morgendunkelheit ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass mein Zimmer folgendermaßen aussieht:
Glatte weiße Wände
Weiße, durchsichtige Vorhänge
Weißer Marmorfußboden
Weißes Schaffell auf dem weißen Marmorfußboden
Einzelbett mit weißen Laken und blauer Zudecke
Weißer Nachttisch mit kleiner silberner Lampe mit hellblauem Schirm.
Im Grunde genommen könnte man also sagen, dass es hier aussieht wie der Blick aus dem Fenster von Sitz 37 G – nichts als Weiß, Weiß, Weiß mit einem gelegentlichen blauen Tupfer. Und, oh ja, die Steckdose ist so merkwürdig anders und weigert sich beharrlich, mit dem Stecker meines Computers zu kooperieren, sodass ich mich frage, wie es wohl im Rest des Hauses aussieht. Ich hatte noch kaum Gelegenheit, es zu sehen, denn sobald mich Tante Tally in mein Zimmer bugsiert hatte, bin ich aufs Bett gefallen und auf der Stelle eingeschlafen. Zum Teil, weil ich von der zweiunzwanzigstündigen Nonstop-Reise total müde war, und zum Teil, weil mich das Heulen immer so müde macht.
Ja genau, ich habe
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