Hier kommt Hoeneß!
»Schön, dass ich Sie doch erreichen kann.«
Zwischen die freundlichen Worte passt keine Antwort. Ich erkenne die Stimme, erkenne die Dame aber nicht.
»Potthoff. Einen Moment bitte, ich stelle durch. Auf Wiederhören!«
Karin Potthoff. Seine Sekretärin. Das Vorzimmer Hoeneß. Na, wunderbar. Was hab ich bloß gestern für die heutige Ausgabe geschrieben? Wo ist die Ausgabe? Tausend wirre Gedanken und einmal säuseln: »Danke, Frau Potthoff!«
»Ja?! Strasser.«
»Hier ist Hoeneß!«
»Ah«, ich versuche, überrascht zu tun: »Guten Tag!«
»Herr Strasser, ich rufe bei Ihnen an, um mich zu beschweren.« (Angenehmer Tonfall)
»So? Um was geht’s denn?« Wenn er wüsste, dass ich im Grunde fast nackt bin.
»Das, was Sie da geschrieben haben, ist nicht in Ordnung.« (Ruhig)
»Was meinen Sie denn konkret?« Zeit gewinnen. Gedanken ordnen. Nebenbei abtrocknen.
»Das wissen Sie ganz genau! Das ist eine Sauerei!« (Unangenehmer Tonfall, laut)
So oder so ähnlich begannen einige Beschwerdetelefonate in den letzten Jahren, seit ich von 1998 an für die »Abendzeitung« über den FC Bayern berichte. Was Uli Hoeneß dabei jeweils in Rage gebracht hat, ist beliebig austauschbar – meist meldete sich der ehemalige Stürmer als Verteidiger seines Heiligtums, seiner Spieler.
Uli Hoeneß ist ein Mann der direkten Konfrontation. Da braucht er zunächst keine Anwaltskanzlei, die ein Fax zur Unterlassung aufsetzt und in die Redaktion schickt. Wenn Hoeneß etwas nicht passt, was er in den Zeitungen oder Magazinen liest, lässt er sich durchstellen – ins Büro oder aufs Handy. Welche Nummer Frau Potthoff eben gerade parat hat.
Das Gespräch verläuft wie ein Unwetter. Es zieht langsam auf, wird stärker und stärker. Dann kracht’s, die Luft hinterher ist allerdings rein und klar.
»Hier ist Hoeneß!« – so meldet sich der Manager des FC Bayern, wenn er jemanden anruft. Er macht seinen Job nun seit 30 Jahren, seit dem 1. Mai 1979. Hoeneß ist der FC Bayern. Mehr noch: Hoeneß ist das Gesicht der Bundesliga. Ab 2010 folgt ein neuer Abschnitt: Er wird Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender seines Vereins.
Der Trainernachbar Hoeneß ist jetzt schon Geschichte. Mit Beginn der Saison 2009/10 hat er sich von seinem Platz auf der Auswechselbank verabschiedet, aber noch läuft der Entzug. In 30 Jahren hat er nur fünf Spiele dort unten, hautnah an der Grasnarbe, verpasst. Nun ist er umgezogen, nach oben auf die VIP-Tribüne. Dort ist er auf Distanz. Für Hoeneß als Oberfan des FC Bayern war der Torjubel zum Anfassen stets das Arbeitselixier. Da ist er einfach ein Fußballer, ein Romantiker. Einer, für den ein wichtiges Tor, ein schönes Spiel größer ist als jede Sponsorenmillion. Einer, der Rituale pflegt. In den Minuten vor dem Anpfiff jeder Partie putzt er rasch noch die Brille. Bei fast jedem Wetter hat er seine rote Stadionjacke dabei. Wenn es schlecht läuft für die Roten, nähert sich seine Gesichtsfarbe der des Anoraks an. Seine Mimik, seine Körpersprache sind die menschliche Anzeigetafel: Seht her, so steht’s.
40 Jahre FC Bayern, knapp zehn auf dem Platz, rund 30 auf der Bank. Die Leidenschaft wohnt weiter in ihm, dieses Fulltime-Herzblut, rot-weißes Adrenalin all inclusive. Er ist der erste Fan und der oberste Anwalt seines Lebenswerks.
Als Spieler stand er eher für die leisen Töne, seine Stimme war ruhig und sanft. Kein Vergleich zum O-Ton des Managers – zu den Momenten, in denen er sich nach Spielen gegenüber den Reportern leicht reizbar in Rage redet. Meist verschränkt er die Arme hinter dem Rücken, stellt sich auf die Zehenspitzen und wippt mit dem Oberkörper in Richtung des Angeklagten. Er spricht dann so schnell, dass die Worte seine Gedanken rechts überholen.
»Sie sollten lieber über Fallrückzieher schreiben als über so einen Mist!«
»Sie brauchen dringend eine Nachhilfestunde! Am besten wäre es, wir machen mal ein Taktikseminar miteinander.«
»Sie sind das Chamäleon des Münchner Sportjournalismus!«
Ich hatte schon viele Beinamen. Am heftigsten war ein Vorwurf aus der letzten Saison nach einigen kritischen Artikeln: »Ich lasse mir das Projekt Jürgen Klinsmann von Ihnen nicht kaputt machen.« Hatte ich nie beabsichtigt. Ein Journalist ist immer neutral. Der Projektleiter, auch Trainer genannt, bewies früh genug, dass er etwas Selbstzerstörerisches in sich trug.
Aber ein Kind, ein Jugendlicher ist nicht neutral. 1983 war ich mit acht Jahren das erste Mal im
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