Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Nicht jetzt. Die nehm ich mir auf«, sagt Jörg gepresst. »Schau sie mir später an.«
Wie merkwürdig.
Mir fällt auf, dass der Videorecorder leise vor sich hin surrt.
»Aha«, sage ich vorsichtig.
Jörg kratzt sich am Hinterkopf. Er sieht plötzlich richtig genervt aus. Und blass.
Mein armer Liebling.
Ich lächle ihn ermutigend an. Er lächelt nicht zurück.
»Iris, das mit der Rasur«, sagt er und zieht scharf die Luft ein.
O nein! Nie hätte ich gedacht, dass Jörg derart sensibel reagiert, wenn ich bei der Rasur mal nicht bei der Sache bin. Dass er so feinfühlig ist.
Mein Gesicht verzieht sich vor Reue.
»Das mit der Rasur«, sagt Jörg noch mal. »Und der ganze andere Kram, den du immer veranstaltest …«
Ich veranstalte die Rasur? Ich schnappe nach Luft.
»All der Kram, der immer gleich ist«, sagt er und sieht mich anklagend an. »Alle zwei Wochen die Rasur. Jeder Samstagabend ist ›unser‹ Samstagabend …«
Sicher. Dann koche ich uns was Schönes. Stelle Kerzen auf den Tisch. Und nach dem Essen schauen wir einen Film, der uns gefällt. Oder jedenfalls einen, auf den ich mich auch einlassen kann.
»Immer das Gleiche «, sagt Jörg.
Ich blicke ihn verständnislos an. Er isst doch immer alles auf, was ich koche. Und darf im Grunde den Film allein aussuchen.
» Jeden, wirklich jeden Sonntag backst du Kuchen«, fährt Jörg fort.
Aber … warum denn nicht?
» Jeden Freitag müssen wir immer zum gleichen Supermarkt«, stöhnt er.
Natürlich. Weil ich dort nicht lange suchen muss. Und was, um Himmels willen, möchte Jörg denn in einem anderen Supermarkt?
Mein Mund steht offen. Worauf will er bloß hinaus?
»Du lässt dir immer die gleiche Frisur beim gleichen Friseur machen«, sagt Jörg.
Also … also wirklich! Das tut er doch auch!
Ich greife in meine kurzen, braunen Haare.
»Iris«, sagt Jörg und sieht mir gerade ins Gesicht. »Du bist … du bist ein so unglaublich fades Gewohnheitstier.« Er holt ganz tief Luft. »Du kannst nicht erwarten, dass ich es bis ans Ende meiner Tage mit dir aushalte!«
Fades Gewohnheitstier?
»Ich bin einfach noch zu jung für so was«, seufzt Jörg.
Als täte er sich selber unheimlich leid.
Mir wird schlecht.
»Jörg, du bist achtunddreißig«, sage ich, den Tränen nahe.
So jung nun auch wieder nicht.
»Eben.« Jörg bleibt stur.
»Genauso alt wie ich.«
Jörg zuckt mit den Schultern, als wolle er sagen, dass das ja wohl zwei verschiedene Dinge sind.
Was ist denn plötzlich los? Gestern hat er es doch noch toll gefunden, dass ich koche und backe und überhaupt den Haushalt schmeiße – neben meinem Job im Bremer Ordnungsamt.
Seine Perle sei ich, sagt er immer.
Und zum Glück keine von diesen Emanzen.
»Jörg, … was … ich meine, warum …«
»Oh, bitte, Iris! Hör auf mit dem Geheul!« Jörg verdreht die Augen. »Das ist jetzt wirklich unfair von dir!«
Was ist unfair? Ich wische mir über das Gesicht, schlucke mehrmals und hole tief Luft.
Jörg stellt seine halbleere Bierflasche auf den Couchtisch.
»Okay«, sagt er. »Du weißt, ich bin niemand, der lange um den heißen Brei herumredet …«
Das stimmt. Mein Magen zieht sich wieder zusammen.
Jörg verzichtet immer auf jede Diplomatie.
»Du bist einfach nicht die Richtige für mich, Iris. Das ist mir klar geworden«, sagt er. »Ich brauche jemand … jemand Aufregendes, … jemand Junges, … jemand Wildes!«
Aufregend? Jung? Wild?
Ich kichere leicht hysterisch.
Jörg schaut mich überrascht an.
»Das alles ist mir sehr ernst, Iris!«
Obwohl ich nicht will, kichere ich wie verrückt weiter.
»O Jörg …«, quietsche ich. »Entschuldige …, aber das klingt so … ich meine, die Vorstellung … du und eine junge Wilde.«
Ich schlage die Hände vor Mund und Augen. Es schüttelt mich richtig. Dabei ist mir kein bisschen zum Lachen. Langsam ebbt mein Kichern ab, und ich höre, wie Jörg ein paar Schlucke Bier aus der Flasche nimmt.
»Iris«, sagt er genervt.
Ich nehme die Hände vom Gesicht und schaue ihn ernüchtert an.
»Ich habe genau so eine Frau gefunden.« Jörg sieht mich trotzig an. »Eine aufregende und wilde Frau. Eben ganz anders als du.« Er atmet tief durch. »Ich trenne mich von dir.« Und nach einem Räuspern: »Du musst ausziehen. Ich fange hier mit ihr ein neues Leben an.«
»Ausziehen? Ich?«
Mir fällt nichts ein, was ich dagegensetzen könnte. Schließlich ist es Jörgs Haus. Alle Möbel gehören ihm. Die ganzen muffigen
Weitere Kostenlose Bücher