Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
immer wieder starke Magenschmerzen. Manchmal so stark, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen kann.«
Warum hat Bruno mir das nicht erzählt? Ich hätte ihm Fencheltee für Felix mitgegeben.
»Der Arzt vermutet, die Schmerzen sind stressbedingt. Das letzte Jahr war hart für mich. Der Druck, Aufträge als mobiler Haustierfotograf zu bekommen, damit ich kein Geld mehr von Papa brauche. Und das Gefühl, dass kaum einer meinen Beruf ernst nimmt.«
Felix’ dunkelblonder Pony ist so lang, dass er ständig über seine Augen rutscht. Am liebsten möchte ich ihm sagen, dass er mal wieder zum Friseur gehen sollte.
»Verstehe«, sage ich lieber.
Ich weiß ja, dass Bruno der Beruf seines Sohnes unangenehm ist und er ihn viel lieber in der städtischen Verwaltung sähe.
Felix drückt die Klingel der Praxis. Ein Summer ertönt, und er schiebt die Tür auf.
»Der Arzt will mit der Magenspiegelung körperliche Ursachen für die Schmerzen ausschließen«, sagt Felix, während wir in das Vorzimmer treten.
»Und wie kann der Arzt dir helfen, wenn deine Schmerzen tatsächlich seelisch bedingt sind?«, frage ich besorgt.
»Dann muss der Patient sich selber helfen!«, sagt eine weibliche Stimme. Felix guckt ziemlich verärgert zu der Sprechstundenhilfe rüber. Dann schaut er zu mir.
Na ja, vielleicht hat sie recht, denke ich.
Viertes Kapitel
D as Wartezimmer des Magenspieglers ist so nüchtern wie der Magen, mit dem Felix zu seinem Termin erscheinen musste. In dem fensterlosen Raum mit weißen Stühlen und einem winzigen Korbtisch voller Zeitungen in der Mitte sitzen eine hagere junge Frau, die mit ihren Falten um den Mund eindeutig magenkrank aussieht, und ein wohlgenährter älterer Herr, der eine Kochzeitschrift liest.
Ich nicke beiden zu, als sie bei meinem Eintreten kurz den Kopf heben, und suche mir dann ohne Lektüre einen Platz. Schließlich kann ich die Zeit besser nutzen, indem ich mir ausmale, wie Emma auf Jörgs plötzliches Ausscheiden aus meinem Leben reagieren wird. Beim Gedanken an ihre abgrundtiefe Abneigung gegen Jörg durchströmt mich dankbare Verbundenheit mit meiner besten Freundin. Sonst hat mich ihre Geringschätzung betrübt und gekränkt – ob Emma doch schon immer recht hatte?
Womöglich ist Jörg ja tatsächlich ein lächerlicher Gockel. Und nicht ein erfreulich gepflegter Mann, wie ich ihr entgegengehalten habe. Vielleicht ist er ja doch ein fauler Macho mit überholten Rollenvorstellungen. Und kein richtiger Kerl, der eben nichts mit Abwaschen, Kochen und Putzen zu tun haben mag. Dafür aber ritterlich an meiner Seite steht.
Von wegen.
Gleich nach der Arbeit werde ich Emma anrufen. Beglückwünschen wird sie mich.
Dass Jörg mir eine Frist fürs Ausziehen gesetzt hat, wird Emma absolut unfair finden. Auch wenn ihm das Haus gehört – er müsste mir mehr als zwei Wochen lassen, nachdem wir dort acht Jahre zusammengelebt haben. Zumal ich mich komplett neu einrichten muss.
Mein Blick fällt auf die Zeitschriften. Vielleicht finde ich ja was zum Thema Einrichten – jetzt, wo es Adieu, Eltern-Möbel heißt.
»Sind Sie die Partnerin von Herrn Feld?« Eine junge Dame im weißen Kittel steckt den Kopf ins Wartezimmer. Die abgezehrte Frau und der feiste Mann schauen zu mir rüber.
Das ging aber schnell. Ich springe auf.
»Nein«, sage ich. »Nur eine Bekannte.«
»Aha«, sagt die Sprechstundenhilfe. »Sie können aber ruhig sitzen bleiben.« Ich setze mich wieder hin. »Herr Feld benötigt eine höhere Dosis Beruhigungsmittel, und der Herr Doktor wollte sicherstellen, dass sich jemand im Anschluss um ihn kümmert. Richten Sie sich bitte darauf ein, dass er nicht vollkommen bei sich sein wird. Aber schon noch zu lenken.«
Ehe ich mich versehe, ist sie wieder verschwunden.
Schon noch zu lenken?
Am liebsten würde ich hinter der Frau herlaufen und sie fragen, was genau mit Felix los sein wird, nachdem sie ihn mit dieser Extradosis vollgepumpt haben. Aber sie ist bestimmt längst wieder im Behandlungszimmer.
»Hört sich ja mächtig ominös an«, meint der ältere Herr und blickt mich begeistert an. Er scheint sich regelrecht auf Felix’ Erscheinen und meinen damit verbundenen Einsatz zu freuen.
»Haben Sie’s auch mit dem Magen?«, frage ich gereizt und in der Hoffnung, ihn mittels Hinweis auf die eigenen Gebrechen zu etwas mehr Anteilnahme zu bewegen.
»Nein. Mit der Galle habe ich es. Und zwar deswegen«, sagt er und hält die Kochzeitschrift hoch. Die Seite zeigt einen glänzenden
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