Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
und reicht mir das zerknitterte Tuch. Bevor ich weitertrimme, werfe ich es schnell in den Mülleimer. Jörg hat inzwischen seine Augen wieder geschlossen.
Na, anscheinend entspannt er sich nun doch noch.
Er schmatzt wohlig.
Mein Gesicht verzieht sich.
Ich weiß, ich weiß. Ich sollte mich für ihn freuen. Das ist doch was Schönes, wenn er bei der Rasur alles um sich herum vergessen kann. Aber je mehr er sich entspannt, desto mehr beschäftigt mich die Frage, warum Jörg sich diese Härchen nicht selber entfernen kann. Wo doch die Abbildungen auf der Packung des Trimmers ein männliches Wesen zeigen, das genau das tut.
Meine wohl bemessenen, sanft kreisenden Rasierbewegungen kommen ins Stocken.
Jörg runzelt sofort die Stirn.
Ich seufze leise.
Ach, was soll’s … jetzt sind ohnehin die Ohren dran.
Ich stelle den Trimmer kurz auf dem Küchentisch ab, lege beide Hände an Jörgs Kopf und drehe ihn behutsam auf die Seite, damit ich an sein rechtes Ohr komme.
So schlimm ist die Rasiererei ja nun auch wieder nicht. Es sind höchstens zehn Minuten – fünfzehn, wenn ich die Reinigung des Trimmers mitrechne. Außerdem wäre Jörg bestimmt nicht so gründlich. Und natürlich finde ich es auch besser, wenn aus seinen Ohren und seiner Nase keine dicken dunklen Haare wachsen.
Ich drehe Jörgs Kopf noch einmal und bearbeite sein linkes Ohr. Er scheint inzwischen in irgendwelche angenehmen Gedanken versunken. Sein Nacken ist jedenfalls vollkommen entspannt, und es liegt sogar ein Lächeln auf seinem Gesicht.
»So. Fertig«, sage ich erleichtert und nehme das Handtuch von seinen Schultern.
Jörg blinzelt aufgeschreckt, dann sieht er auf seine Uhr. Er lächelt mich knapp an, steht auf und eilt Richtung Sportschau, da er auf keinen Fall die Zusammenfassung der Sonntagsspiele verpassen darf.
Er könnte ruhig mal danke sagen.
Diese Rasiererei als kleinen Liebesbeweis meinerseits würdigen.
»Bringst du mir gleich ein Bier mit? Ja?«, höre ich ihn aus dem Wohnzimmer.
»Sofort«, rufe ich und schüttle den Kopf.
Weshalb hat er sich das nicht gleich selber mitgenommen?
Aber so etwas soll ja typisch Mann sein. Multitasking nicht möglich. An Sportschau und Bier denken geht nicht.
Ich wundere mich kurz, weshalb aus dem Wohnzimmer noch keine Sportschaugeräusche zu hören sind.
In der einen Hand halte ich den Trimmer. Mit der anderen angle ich erst den Flaschenöffner aus der Schublade, dann Jörgs geliebtes Haake Beck aus dem Kühlschrank, um ihm beides auf dem Weg ins Bad reinzureichen. Gleich muss ich nur noch den Schneidekopf reinigen, und dann kann ich es mir endlich oben mit einem Buch gemütlich machen.
Als ich ins Wohnzimmer komme, ist der Fernseher nicht an.
Mein Blick bleibt an der leeren Mattscheibe hängen.
»Danke für das Bier, Iris. Und für den Öffner«, sagt Jörg förmlich.
Ich drehe mich zu ihm um. Er sitzt steif auf der Sofakante und starrt verlegen vor sich hin. Was ist denn los?
»Bitte«, sage ich und platziere Flasche und Öffner vor ihm auf dem grässlichen Couchtisch aus Eiche, der wie alle Möbel in diesem engen Altbremer Haus schon seinen Eltern gehört hat.
Jörg entfernt den Kronkorken und nippt flüchtig an seinem Bier. Dann stellt er die Flasche auf den Tisch. Er atmet tief durch und schluckt hörbar. Ich hebe die Augenbrauen. So kenne ich Jörg überhaupt nicht.
Mein Gott. Er wirkt … richtig hilflos.
»Iris«, sagt Jörg, blickt zu mir hoch und stockt gleich wieder.
Er greift noch einmal nach seinem Bier, trinkt diesmal mehr und behält die Flasche in der Hand. Dann räuspert er sich und betrachtet den moosgrün und scharlachrot gekringelten Orientteppich.
Oje. Er scheint überfordert.
Wenn ich nur wüsste, von was.
Rasch setze ich mich an seine Seite und lege meinen Arm um ihn.
Mein Gott!
Er springt, wie von der Tarantel gestochen, auf und schüttelt mich so ruppig ab, dass mir der Trimmer aus der Hand fällt.
»Was ist denn los?«, sage ich erschrocken. Und auch ein wenig vorwurfsvoll.
»Was denn los ist?«, schnauzt Jörg.
Jörg ist groß gewachsen und sein Rumpf prima durchtrainiert. Das finde ich eigentlich anziehend. Aber nicht, wenn er so über mir steht.
»Komm, setz dich wieder hin«, sage ich.
»Okay«, brummt er und lässt sich neben mich plumpsen.
Ein paar Tropfen Bier schwappen aus der Flasche aufs Sofa, er beachtet es gar nicht. Beinahe frage ich noch mal, was denn los ist.
»Heute keine Sportschau?«, formuliere ich gerade noch um.
»Nee.
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