Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Mit diesem Kuss nahm ich seinen letzten Atemzug auf.
Es war unser Abschiedskuss gewesen.
Ein heftiger Schmerz schoss mir durch die Brust. Duncans Hand, die auf meiner lag, verkrampfte sich leicht. Beunruhigt wandte mein Sohn sich mir zu.
»Mutter? Mutter!«
Er packte mich am Mieder. Ich versuchte zu sprechen, aber nur ein entsetzlicher rauer Laut entrang sich meiner Kehle. Seine Stimme drang als bloßes Dröhnen an mein Ohr. Er hob mich hoch, drückte mich fest an sich und schrie John und Alexander zu, sie sollten so rasch wie möglich ihre Mutter und ihre Schwester Mary holen. Ich spürte, dass die Sonne mir nicht mehr ins Gesicht schien, und dann stieg mir Torfgeruch in die Nase, und ich zitterte in der feuchten Luft der Kate. Duncan legte mich auf mein Bett und überhäufte mich mit Decken.
»Kannst du mich hören, Mutter?«
»Ja … Duncan …«
»Oh, Mama … nicht jetzt, das ist viel zu früh!«
Trotz des Schmerzes, der in meiner Brust wühlte, trat ein leises Lächeln auf meine Lippen. Mama … Duncan hatte mich seit einer Ewigkeit nicht mehr so genannt. Genauer gesagt seit dem Tag, an dem er beschlossen hatte, dass er jetzt ein Mann war.
»Alasdair … Hol ihn her, Duncan«, bat ich und drückte eindringlich seinen Arm. »Ich muss mit ihm sprechen, bevor …«
»Sprich nicht vom Sterben, Mama!«
»Alasdair… Mach schnell.«
»Ja doch. Gleich ist er hier. Er ist gegangen, um Mary und Marion zu holen…«
»Schon gut, ist gut …«
»Mamie Kitty, du wirst doch nicht sterben, oder?«, ließ sich John vernehmen, der in der Tür stand und mich unverwandt ansah.
Duncan drehte sich um und bedeutete ihm, näher zu kommen.
Von den Schreien der Zwillinge herbeigerufen kamen sie alle, einer nach dem anderen, meine Enkel und Urenkel. Im Halbdunkel erkannte ich ihre Silhouetten, und ihre Anwesenheit wärmte mir das Herz. Wenn ich ging, würde ich von den Menschen umgeben sein, die ich liebte …
Ich würde die wiedersehen, die uns schon verlassen hatten: meine Tochter Frances und meinen Sohn Ranald. Margaret und Eibhlin. Marcy und Brian, die Kinder von Duncan Og, die bei einer tragischen Bootsfahrt auf dem Loch Leven ertrunken waren. Ich spürte ihre Nähe. Sie streckten mir die Hände entgegen, beschwichtigten mich und würden mich in diese unbekannte Welt führen, die ich früher so gefürchtet hatte. Dorthin, wo Liam auf mich wartete.
Mit einem Anflug von Stolz betrachtete ich meine Nachkommenschaft. Sieh doch, mo rùin , was wir hinterlassen. Sie sind unser Blut, die Frucht unserer Liebe. Sie sind ein neuer Kreis im ewigen Zyklus des Lebens.
Der Schmerz verblasste und wich einem seltsamen Taubheitsgefühl. Mir blieb so wenig Zeit, um ihnen allen zu sagen, dass ich sie liebte. Ich konnte jedem nur ein paar Augenblicke schenken, meine Kräfte verließen mich … Die hübsche Mary weinte. Sie hatte vor einem Monat, als die Nachricht eintraf, der Prinz sei auf schottischem Boden gelandet, eilig geheiratet. Genau wie damals Frances und der arme Trevor. Die liebe Mary, so großzügig zu den Menschen, die sie liebte, und so stolz und aufrecht gegenüber den anderen.
Seit Liams Tod kümmerte die junge Frau sich aufopferungsvoll um mich. Coll, ihr jüngerer Bruder, versuchte sie gerade zu trösten und drückte sie an seinen massigen Körper. Obwohl er erst vierzehn war, besaß er bereits die Statur eines Mannes. Ein Hofstaat junger Maiden flatterte überall hinter ihm her wie ein fröhliches Banner, das seinem geheimen Charme Tribut zollte.
Auch Duncan Og, Duncans Ältester, war mit seiner Frau Coleen und ihren drei Kindern gekommen. Es fehlten nur Angus, der zwei Kinder in der Obhut seiner Gattin Molly zurückgelassen hatte, und James, Junggeselle und unverbesserlicher Schürzenjäger. Die beiden waren bereits zur Armee gestoßen.
Jetzt traf ihr Cousin Munro ein, Frances’ einziger Sohn. Der Kleine hatte nie verstanden, warum seine Mutter ohne einen Abschied oder einen Kuss von ihm gegangen war. Frances war vor einigen Jahren, als Munro noch ein Kind war, vergewaltigt worden. Danach war sie von einer seltsamen Krankheit befallen worden, die ihren Verstand zerstörte… bis nichts mehr von ihr übrig war und sie starb. Manchmal fragte ich mich, ob es ihr Leiden nicht verschlimmert hatte, dass man ihr das Kind weggenommen hatte, das neun Monate später zur Welt gekommen war. Aber für solche Gedanken war es zu spät. Das kleine Mädchen, das aus diesem schrecklichen Verbrechen hervorgegangen
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