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Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Mann
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Korrespondenz gänzlich übernommen hat. Algorithmen entwerfen automatisch E-Mails, so dass man selbst nicht mehr am Kommunikationsprozess beteiligt ist, sondern nur noch hin und wieder vom Mail-Programm bezüglich des Gesprächsverlaufs gebrieft wird. Nachdem mein Sohn mich sichtlich frustriert meinem Schicksal überlassen hat, entdecke ich im Wust der ein- und ausgehenden Nachrichten den Statusbericht des Bundesamtes für verschwundene Software-Programme. Man teilt mir mit, mein gesamtes Office-Paket sei nach wie vor unauffindbar. Entnervt ziehe ich meinen farbwechselnden Halbleiter-Parka an, verlasse das Haus, laufe vorbei an einer Armada pixeliger Bauarbeiter, die im Garten des Nachbarn antike Desktop-Rechner mit dem Presslufthammer zerkleinern. Vor meiner Stammkneipe stehen Smartphone-Kabinen, in denen Kettensurfer ihrer Sucht frönen. Im Gastraum starren die Gäste mit 3D-Brillen auf eine Leinwand, auf der gerade der erste, perfekt funktionierende Videochat als großes TV-Ereignis übertragen wird. Das Hologramm von Helmut Schmidt, optisch mittlerweile ein kettenrauchender Yoda, spielt dabei Online-Schach mit Peer Steinbrück. Auf der Tageskarte bietet der Wirt selbstgezüchteten Biolachs und hausgebrautes Youtube-Bier an. Ich treffe meinen Freund Andi, der mir erzählt, dass schon wieder zwei seiner Kollegen während der Online-Buchung ihres Jahresurlaubs verstorben sind. Ich empfehle für die Zukunft ein gutes Reisebüro und sende ihm direkt Adresse und aktuellen Katalog von meinem auf sein Mobiltelefon. »Hab’s dir geschickt«, sage ich. Schockiert entgegnet er mit brüchiger Stimme: »Oh Gott, du hast mir JETZT gerade ne Mail geschickt? HIER ? MIT ANHANG ?« Die Konversation in der Kneipe erstirbt. Alle starren mich an. Der Wirt sagt: »Eine E-Mail? In meiner Kneipe? Samstags um 22.30 Uhr?« Auf einmal höre ich von draußen marschierende Schritte und einen rhythmischen Chor von Stimmen, die immer wieder » GEFÄLLT MIR NICHT ! GEFÄLLT MIR NICHT ! GEFÄLLT MIR NICHT !« rufen. Andi flüstert: »Sie kommen, um dich zu ­holen.« »Wer denn?«, frage ich. »Der radikale militärische Arm der PETE !« Schon schlägt die Tür der Kneipe auf und vier aggressive E-Mail-Schützer in durchsichtigen Neopren-Uniformen zerren mich nach draußen. Erschrocken stelle ich fest, dass ein immer größer werdender Mob sich am Straßenrand sammelt und meine Verhaftung bejubelt. Es sind furchteinflößende Trolle in Feinrippunterhemden und Jogginghosen, die Dinge rufen wie »Pfui!« und »Auf den Grill mit ihm!«. Sie bewerfen mich auf dem Weg zum Gefängnistransporter mit Exkrementen. Welch ein Shitstorm! Ich halte die Luft an, bis einer meiner Wachen mich in die grüne Minna sperrt und den Fahrer anweist: »Bring ihn zum Zuckerberg!« Wir fahren durch dunkle Stadtgebiete, die Ortsbezeichnungen wie »Friedhof der Gruscheltiere« oder »Aussätzigen-Kolonie schwangerer Alkoholfrei-Trinker« tragen. Dann sehe ich ihn tatsächlich: einen gewaltigen Berg aus raffiniertem Zucker. Aus einer Höhle schießen Flammen in den Nachthimmel und lösen karamellisierte Lawinen aus. Der Fahrer hält an, öffnet die vergitterte Tür und führt mich unsanft zum Fuß des Bergs. »Hier ist Frischfleisch!«, ruft er in die Nacht und läuft eilig davon, nachdem er mich mit alten Netzwerkkabeln gefesselt hat. Dann sehe ich es: Ein gewaltiges Untier, ein riesiger Lindwurm, schiebt sich aus der Höhle. Das Vieh hat ein aschfahles Gesicht, das von blauen Adern durchzogen ist. Augen mit riesigen Pupillen starren mich an. Sein dämonisches Grinsen gibt den Blick auf messerscharfe, silberne Zähne frei. Ich bemerke, dass mir die Züge des Monsters nicht unbekannt sind. Es ist … es ist … Marylin Manson. »Give me Your fucking Phone, You Mother­fucker!«, faucht das Manson-Monster und kriecht immer näher auf mich zu. Verzweifelt versuche ich mich zu befreien. Ich schreie. Ich winde mich. Sein Maul öffnet sich und dann … werde ich wach.
    Meist bin ich dann schweißgebadet und zunächst noch dermaßen verängstigt und orientierungslos, dass ich im Dunkel des Schlafzimmers mit meinem iPhone checke, ob der Papst vielleicht gerade etwas über die Apokalypse getwittert hat.
    Was dieser Traum zu bedeuten hat? Ich habe schon unzählige Traumdeutungsforen im Netz durchforstet und bin mittlerweile zu dem Ergebnis gekommen, dass ich wohl tatsächlich durch und durch ein Digital Dummy bin: interessiert, engagiert, involviert – letztlich aber total

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