Himmel über Darjeeling
Grafschaft, von bald sechzig Jahren auf dieser Welt gezeichnet, deutete einen Knicks an, ehe sie zur Seite trat und die schlanke Gestalt eines jungen Mädchens in der Türfüllung erschien.
Unwillkürlich ließ Wilson prüfende Blicke zwischen dem Gemälde und Celias Tochter hin- und herwandern. Helena war schmaler, eckiger, dabei aber auch größer als ihre Mutter. Ihr Haar – eine wilde Mähne dichten, welligen Haares in einem hellen Honigton, das je nach Lichteinfall rötlich aufschimmerte – widerstand allen Zähmungsversuchen und reichte offen bis zu ihrer Taille hinab. Die schwarze Trauerkleidung stand ihr unvorteilhaft zu Gesicht, ließ die von ihrer Mutter ererbten Züge hart und streng wirken. Allein ihre Augen waren wirklich schön zu nennen: groß und außergewöhnlich in ihrer grünblauen Farbe, die an ein südliches Meer erinnerte, blickten sie scheinbar furchtlos in die Welt hinaus, schufen dabei aber eine Distanz, die unüberwindlich schien.
»Ich weiß, dass ich ihr nicht ähnlich bin«, riss ihre klare, kühle Stimme Wilson aus seinen Gedanken, »aber das ist wohl kaum der Grund für Ihren Besuch.«
Eine helle Röte stieg in Wilsons konturlosen Wangen auf. »Wollen wir nicht zuerst Platz nehmen?«, schlug er bemüht jovial vor und wies auf die drei niedrigen Sessel. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich und begann, die Dokumente und Notizen, die er auf dem Teetisch ausgebreitet hatte, umzuschichten, um sich ein geschäftiges Aussehen zu geben. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Helena niederließ und Margaret sich anschickte, es ihr gleichzutun. »Margaret, würden Sie uns bitte – «
»Mrs. Brown gehört seit langem zu unserer Familie und hat jedes Recht, hierbei anwesend zu sein«, fiel ihm Helena scharf ins Wort, das Kinn mit der Andeutung eines Grübchens herausfordernd in die Luft gereckt.
»Nun«, begann der Anwalt, »wie Sie zweifellos wissen, obliegt mir die Aufgabe, die Hinterlassenschaft Ihres seligen Herrn Vaters zu sichten und Ihnen zu übergeben. Da er offenbar zu Lebzeiten kein Testament verfasst hat, sind Sie, Miss Lawrence, und Ihr Bruder Jason als nächste Verwandte die einzigen Erben seiner weltlichen Habe. Leider«, er räusperte sich, »leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich nach Durchsicht sämtlicher Papiere, die mir zur Verfügung standen, ein erhebliches Defizit errechnet habe.«
»Ich gehe davon aus, dass dieses Defizit nicht so umfangreich ist, dass es sich nicht durch das Erbe meiner Mutter ausgleichen ließe, schließlich haben wir die vergangenen Jahre sparsam gelebt.« Wilson konnte den bitteren Ton aus ihren Worten heraushören und senkte den Blick, ein ungutes Gefühl in seinem sonst so kalten Herzen.
»Miss Lawrence«, begann er, die Augen starr auf die Zahlenreihen vor ihm gerichtet, »ich fürchte, dass die Summe, die Ihre selige Frau Mutter damals großzügigerweise von ihrer Tante Mrs. Weston bekam, um sie für den Ausschluss aus der Erbfolge der Chadwicks als Konsequenz ihrer Heirat zu entschädigen, längst aufgebraucht ist. Tatsächlich verbleibt nach Abzug aller Kosten für medizinische Hilfe, das Begräbnis und meines bescheidenen Honorars eine Differenz von etwa dreihundert Pfund zu Ihren Lasten.«
»Dann müssen wir World’s End beleihen.«
»Das Haus und das dazugehörige Land sind bereits mit vierhundert Pfund belastet.«
»Allmächtiger«, entfuhr es Margaret, während Helena unbeweglich vor sich hin starrte, ehe sie den Anwalt mit ihren Blicken durchbohrte.
»Wofür hat er all das Geld verwendet?«
»In seinen Unterlagen fanden sich Belege für finanzielle Transaktionen – Zahlungen an mehrere Fonds zur Förderung der Erforschung antiker Philosophie und Literatur. Insgesamt belaufen sich diese auf – « er blätterte zwischen einzelnen Seiten hin und her, »auf viertausendneunhundertdreiundsiebzig Pfund Sterling in einem Zeitraum von etwa acht Jahren. Unter Umständen waren es auch mehr, die Buchführung Ihres Herrn Vaters war mehr als unvollständig, vor allem in den vergangenen Monaten.«
»Gibt es eine Möglichkeit, diese Gelder zumindest zu einem Teil zurückzufordern?«
»Ich fürchte nein. Vor dem Gesetz war Ihr Herr Vater bis zu seinem Dahinscheiden im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Dies im Nachhinein auf rechtlichem Wege anzufechten, halte ich für ein aussichtsloses Unterfangen.«
»Meine Mutter besaß noch ein wenig Schmuck, den ich von ihr geerbt – «
»Ich habe einen Blick in die Schatulle geworfen. Die
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