Himmel ueber fremdem Land
zurück. Behutsam legte Demy das Buch zwischen die Teetassen auf den Beistelltisch, bevor sie unsicher zu den älteren Mädchen hinüberschaute.
Margarete bedachte sie mit einem Lächeln. »Ich hoffe, es hat Ihnen in unserem kleinen Literaturkreis gefallen.«
Einen Augenblick zögerte Demy. Was sollte sie entgegnen?
Ihr nachdenkliches Schweigen vertrieb das Lächeln auf Margaretes Gesicht und besorgte, dunkle Augen blickten sie unter leicht erhobenen Augenbrauen an. »Oh, ich bin eine schreckliche Gastgeberin. Sie haben weder von dem Gebäck gekostet noch Tee genommen. Vielleicht bevorzugen Sie Obst und Kaffee anstelle der Kekse und des Tees? Entschuldigen Sie bitte vielmals. Ich …«
Demy schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, Fräulein Pfister, habe ich nichts gegessen und getrunken, weil ich so damit beschäftigt war, zuzuhören und mich nicht danebenzubenehmen.«
Margarete schaute sie abwartend an. Ihr Blick drückte Neugier aus, dennoch ließ sie ihr die Freiheit, ob sie mehr sagen wollte oder lieber schwieg. Demy zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. Mit einem hilflosen Lächeln sah sie sich um, in der Hoffnung, dass Fräulein Cronberg inzwischen zurückgekehrt war. Dabei fiel ihr Blick auf ein vor allem in Blau und Grün gehaltenes Gemälde, bei dem sie nicht recht erkennen konnte, was es darstellen sollte.
Margarete folgte ihrem Blick und erklärte: »Ein Mann namens Picasso hat es gemalt. Mir gefällt es nicht, aber mein Vater meint, der Künstler sähe einer große Zukunft entgegen.«
Demy, froh über den Themenwechsel, und darüber, dass ihr Gesicht, das nach dem Überfall ganz ähnliche Farben angenommen hatte, wiederhergestellt war, sagte: »Ich fand es schön, dass Sie Fräulein Cronberg um ein Gebet anhielten. Seit meine Schwester Anki in St. Petersburg lebt und unsere Erzieherin nach Württemberg zurückgekehrt ist, sind Gebete selten geworden.«
Die beiden Frauen nickten verständnisvoll, und Margarete beugte sich vor, um ihre Hand zu ergreifen. »Ich wurde vor Kurzem in den Straßen Berlins überfallen. Seitdem ist es mir ein Bedürfnis, mich und meine Freundinnen unter Gottes Schutz und Geleit zu stellen. So schnell ist etwas Furchtbares geschehen!«
Bei der Vorstellung, dass jemand dieses zarte Mädchen bedrängt hatte, schauderte es Demy, nicht zuletzt, weil ihr auch ihr eigenes Erlebnis mit der Frau im Torbogen wieder lebhaft vor Augen stand.
»Ich wollte Sie nicht ängstigen«, beeilte sich Margarete zu sagen. »Berlin ist eine schnell wachsende, einem ständigen Wandel unterliegende Stadt, aber vermutlich nicht gefährlicher als andere große Städte. Und mir ist bis auf einen kleinen Schreck nichts geschehen.«
Demy lächelte und sah auf die gepflegten Hände ihrer Gesprächspartnerin hinunter. Sie wirkten ebenso zart und zerbrechlich wie die ganze Person, während ihre eigenen bereits jetzt im April leicht gebräunten Hände dagegen richtig derb aussahen. »Vor einigen Wochen hatte ich auch ein ähnlich unangenehmes Erlebnis.«
»Wie schrecklich! Ihnen ist doch nichts Schlimmeres zugestoßen?«, stieß Margarete hervor.
»Der Angriff auf mich stellte sich, Gott sei Dank, als Verzweiflungstat einer Frau heraus, die genau in diesem Moment ein Kind zur Welt brachte. Doch ein Schreck war es schon, zumal die Frau das Kind in meinen Armen zurückließ und davonlief.«
Margarete zeigte aufrichtiges Mitgefühl, dabei nahm Demy an, dass die zart wirkende Frau wesentlich größere Angst auszustehen gehabt hatte als sie, die sie vor ein paar Wochen noch ungestüm über Dünen gerannt war.
Lina und Margarete baten sie, mehr von ihrem Erlebnis zu erzählen, was sie, wenn auch zurückhaltend, tat. Sie endete mit der Bemerkung, wie sehr sie es bedauerte, dass sie nicht wusste, was aus dem Jungen geworden sei.
Die offenbar nicht nur mit einem goldenen Herzen, sondern auch mit wachem Verstand gesegnete Margarete folgte aufgeregt ihrem Gedankengang: »Aber das lässt sich doch ändern. Ihre Haushälterin müsste Kenntnis darüber besitzen, in welches Säuglingsheim Ihr kleiner Findling gebracht wurde. Ich finde, Sie sollten hingehen und sich nach seinem Ergehen erkundigen!«
Demys Zögern veranlasste Lina, ihr mit dem behandschuhten Finger leicht auf die Schulter zu tippen. »Fehlt Ihnen der Mut, solch eine Einrichtung aufzusuchen? Oder denken Sie, der Herr Rittmeister würde es nicht gutheißen? Vielleicht aber quält Sie nur die Angst, Sie könnten sich in den Kleinen
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