Gauck: Eine Biographie (German Edition)
7 Begegnungen
Joachim Gauck ist nicht groß. 1,76 Meter laut Reisepass, er wirkt größer. Ein starker Mann mit großer innerer Kraft. Mit einer Ausstrahlung, die durch ein außerordentliches Leben in einer dramatischen Zeit geprägt worden ist. Er wirkt ernster, als ich ihn mir vorgestellt habe. Die erste halbe Stunde: ein Abtasten. »Es ist mir eine große Freude und Ehre«, sage ich zur Begrüßung. »Das werden wir noch sehen«, entgegnet er knurrig. Dann übergangslos ein Eisbrecher: »Hätten Sie nicht warten können, bis ich tot bin?« Ich zeige ihm die damalige Idee zum Titel des Buches: Die Wege des Herrn Gauck . Er legt die Hand auf das Papier, deckt das Wort Gauck ab. Sofort hat er den Ansatz erfasst. »Wie finden Sie den Titel?«, frage ich. »Witzig«, entgegnet er, »aber vielleicht zu blasphemisch, ich muss darüber nachdenken.« Er sagt öfter »ich muss darüber nachdenken«, wenn er von etwas nicht überzeugt ist.
Dahinter steckt: Joachim Gauck sagt nicht gern nein. Er vermeidet es, anderen einen Wunsch abzuschlagen. Das könnte sie verletzen, eine negative Stimmung erzeugen. Als ich die Bitte äußere, seine kirchliche Personalakte einsehen zu dürfen, sagt er wieder: »Darüber muss ich nachdenken.« Als ich bei anderer Gelegenheit nachhake, stellt er hilflos die Frage an sich selbst: »Ja, warum möchte ich das eigentlich nicht?« Die Antwort gibt er selbst: »Mein Staatssekretär hat mir dringend davon abgeraten.« Gauck windet sich um ein »nein, das möchte ich nicht« herum.
Wir sitzen an seinem runden Besprechungstisch im Schloss Bellevue mit Blick in den Schlosspark. Gauck ist vorbereitet. Er weiß, dass ich schon mit vielen in seinem Um 8 feld gesprochen habe. Er interessiert sich für meine frühere Arbeit, will dies und das zu meinen bisherigen Büchern wissen. Tatsächlich aber geht es zwischen uns nur um die eine Frage: Vertrauen oder nicht vertrauen. Nach dreißig Minuten hat er sich entschieden. Er wird an dem Buch mitwirken, Informationen dazu beitragen und meine Fragen beantworten. Seine Begründung überrascht mich. Meine Ulbricht-Biographie hat bei ihm den Gedanken ausgelöst: »Mein Gott, da steckt aber eine Menge Arbeit drin.« Und aus der Tatsache, dass ich Geschäftsführer des Spiegel-Verlages war, hat er den Schluss gezogen: »Sie gehören nicht zu denjenigen, denen es beim Schreiben in Wahrheit um sich selbst geht und nicht um den, über den sie schreiben.« Dann wieder ein übergangsloser Stimmungswechsel: »Sie können doch kein Interesse daran haben, dem Bundespräsidenten Schaden zuzufügen!«
Er sieht am Ende seines Arbeitstages sichtbar müde und erschöpft aus, ist aber intellektuell hellwach. Unser Gespräch folgt nicht dem Prinzip von Frage und Antwort. Wenn ich eine Frage stelle, sprudeln Sätze aus ihm, als hätte man einen Wasserhahn aufgedreht. Gauck ist auf Sendung geschaltet, nicht auf Empfang. Er formuliert präzise. Was er sagt, hat Struktur, kreist aber nur in weitem Bogen um das von mir angeschnittene Thema. Am Ende unseres ersten Gesprächs betont er: »Ich kann natürlich auch anders.« Er meint, dass er sich auch auf die Beantwortung meiner Fragen konzentrieren könnte, statt selbst die Themen zu bestimmen und nur das zu erzählen, was er preisgeben möchte.
Ja, das könnte er selbstverständlich. Er tut es aber nicht. Auch nicht bei unseren weiteren Treffen. Ich lerne, dass das System hat und kein Zufall ist. Der Bundespräsident ist bereit, mit mir zu reden, weil er Einfluss nehmen will. Auf mich, auf das Bild, das ich von ihm zeichnen will, auf das 9 Buch, das von ihm handeln wird. Das ist legitim und Alltag im politischen Geschäft. Wohl fast jeder Mensch hat den Wunsch, ein gutes Bild von sich abzugeben. Durch seinen Redefluss gibt Joachim Gauck die Themen vor, über die wir sprechen. Meine Möglichkeiten, Kritisches anzubringen, vielleicht unangenehme Fragen zu stellen, sind dadurch schon rein aus Zeitgründen eingeschränkt. Der Bundespräsident wirft wie ein Projektor das Bild von sich auf die Leinwand, das er in der Öffentlichkeit von sich sehen will.
Ich verstehe das als eine Technik im Umgang mit den Medien, die er im Laufe seiner Karriere bis zur Perfektion entwickelt hat. Dabei ist er durch eine doppelte Schule gegangen. In der DDR musste er lernen, mit staatlichen Autoritäten, einschließlich der Staatssicherheit, umzugehen, um bestimmte berufliche und persönliche Ziele zu erreichen. In der Bundesrepublik stand er als
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