Himmel ueber fremdem Land
den Damen Dohm und Cauer erzählte und sie sich nicht unbedingt begeistert gezeigt hatte?
Was erwartete die Freundin von ihr, zumal sie doch um ihr Alter wusste? Musste sie sich jetzt entscheiden? Für oder gegen Lieselotte und ihre Brüder und für oder gegen Margarete und Lina, mit denen sie sich so wunderbar verstand?
Margarete legte ihre zarte Hand auf Demys Arm und drückte diesen leicht. »Es tut mir leid, dass dieser Nachmittag so enden muss. Wir wissen um Lieselottes schwierige Situation, und auch, dass sie vor nicht allzu langer Zeit ihre kleine Schwester verloren hat, geschuldet wohl den schlechten Verhältnissen, in denen die Familie leben muss.«
»Aber lässt man sich deswegen gleich in dieser ungehobelten Weise gehen?!«, sagte Adele, die bisher geschwiegen hatte, schüttelte den Kopf und stieß zwischen gespitzten Lippen missbilligend klingende Laute aus.
»Unser Umfeld beeinflusst unser Denken und Fühlen, letztendlich auch unsere Worte und unser Handeln. Fräulein Scheffler hat uns nie als ihre Freunde gesehen. Sie mit Sicherheit, Fräulein van Campen, womöglich auch dich, Lina und dich, Margarete. Aber uns anderen Frauen gegenüber blieb sie immer unnahbar. Sie kam nicht in unsere Häuser zu den Treffen, und das, obwohl wir alle über ihre schwierigen Verhältnisse Bescheid wussten und sie, so denke ich, ganz ungezwungen und vorurteilsfrei aufnahmen«, beleuchtete Klaudia die Situation, wobei sie ihre Hände noch immer schützend um ihren Bauch gelegt hatte.
»Womöglich erwartete sie von uns finanzielle Hilfe, die wir ihr natürlich nicht zuteilwerden ließen. Die Menschen müssen für ihr Leben Eigenverantwortung übernehmen und sich selbst eine Einkommensgrundlage aufbauen. Immer nur von Almosen zu leben bringt sie nicht voran. Ausgenommen sind davon natürlich die armen Kleinen, denen du, Lina, gemeinsam mit Margarete und Fräulein van Campen unter die Arme greifen willst«, schränkte Adele schnell ein und sah sich Beifall heischend um.
Betreten senkte Demy den Kopf. Adeles Worte waren keinesfalls unwahr, dennoch schmerzten sie Demy. Sie wusste um Herrn Schefflers vergeblichen Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden, ebenso wie um die kräftezehrenden Arbeitsstunden von Frau Scheffler und Lieselotte in der Fabrik, ohne dass sie dadurch auch nur ein paar Groschen auf die hohe Kante legen konnten. Diese Familie bemühte sich wirklich redlich, doch die Umstände standen schlichtweg gegen sie.
Förderten Hoffnungslosigkeit und Armut radikales Gedankengut? Vielleicht nicht bei jedem Menschen, aber doch bei denjenigen, die dazu eine Veranlagung mitbrachten oder denen ein anderer Halt im Leben fehlte – wie der Glaube an Gott oder eine starke Bindung innerhalb der Familie …
Demy seufzte. Wie schwer mochte das Vertrauen auf Gottes Hilfe angesichts von Hunger, Enttäuschungen, Ausweglosigkeit und erst recht nach dem Tode einer geliebten Schwester zu glauben sein?
»Was tun wir jetzt?« Margaretes Worte durchbrachen die Stille, rückten das Zirpen der Grillen und Singen der Vögel wieder in den Hintergrund.
»Ich werde mich nicht bei ihr entschuldigen«, ließ Lina verlauten. »Ich blieb ruhig und sachlich. Sie war diejenige, die laut und ausfällig wurde.«
»Sie passt nicht zu uns und hat uns heute verbal angegriffen. Am besten, wir schließen sie aus unserem Kreis aus.«
»Aber Adele, damit bekräftigen wir doch ihre Vorurteile, die sie gegenüber den Bessersituierten – die wir nun einmal sind – ohnehin schon pflegt«, widersprach Margarete und schaute bittend in die Runde.
»Überlassen wir ihr die Entscheidung, was sie tun will«, schlug Klaudia vor. »Wir laden sie weiterhin ein; Fräulein van Campen könnte ihr die nächsten Termine sicher übermitteln. Dann liegt es an ihr zu reagieren.«
Wenngleich sie sich schrecklich fühlte, nickte Demy bekräftigend. Fühlte Lieselotte sich von ihr verraten, weil sie mehr Zeit mit Margarete und Lina verbrachte als mit ihr – ihrer ersten Freundin in Berlin? Demy war zunehmend verunsichert und fühlte sich zwischen zwei Welten hin und her gerissen. Sollte sie nun vermittelnd eingreifen oder sich zwischen der gemäßigten, bürgerlichen Frauenrechtsbewegung und der eher radikalen proletarischen entscheiden? Mit Sicherheit würden die von den Frauen diskutierten Themen und eingeforderten Veränderungen auch für sie eines Tages relevant werden, aber momentan fühlte sie sich so weit entfernt davon, wie es der Mond von der Erde war.
Ihr
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