Himmel und Hölle
versuchte mir vorzustellen, dass ich in wenigen Stunden eine verheiratete Frau sein würde: Konstanze Kuchenmeister.
2
»Welch Glanz in unserer Hütte! Welch elegante Schönheit inmitten von Latzhosenpomeranzen! Du bist nicht von hier?« Mit fränkischem Akzent baggerte dieser lange Kerl, eine Art John Travolta vom Weißwurstäquator, mich an. Es war ein herrlicher lauer Frühlingsabend, und wir befanden uns auf einer Studentenfete am Nürnberger Tiergarten. Irgendwie stand ich modisch immer noch sehr unter Mutterns Einfluss, was mein blaugrüner Faltenrock samt weißer Bluse und Seidenhalstuch bewiesen. Nie im Leben hätte ich meine langen Beine in eine dieser angesagten Schlabberjeans gesteckt oder mir eines dieser ausgeleierten Sweatshirts an den Leib gehängt. Meine Beine steckten in Feinstrumpfhosen und meine Füße in edlen Pumps mit Troddeln dran. Gerade hatte ich meiner Freundin begeistert von der Praktikumsstelle an einem Londoner Krankenhaus erzählt, die ich im Sommer antreten würde.
»Gib dir keine Mühe!«, gab ich John Travolta ziemlich hanseatisch zur Antwort. »Ich bin sowieso bald weg.«
»Schade«, sagte der Typ und grinste mich entwaffnend an. Er hatte makellose weiße Zähne. Mein Herz machte irgendwelche spätpubertären Hopser, und ich
fühlte völlig undamenhafte rote Flecken meinen Hals heraufkriechen. Wieso irritierte mich dieser Kerl mit dem süßen fränkischen Akzent denn so? Der große schlaksige Mensch hatte so einen merkwürdigen Glanz in den Augen. Ganz so, als hätte er Fieber. Oder die Masern.
Meine Freundin erhob sich, etwas Taktvolles murmelnd, und verschwand in Richtung Damentoilette.
Freundlich, aber bestimmt, dachte ich mit einem Blick auf seine durchtrainierten Armmuskeln, die sein kurzärmeliges, einst olivgrünes T-Shirt so richtig gut zur Geltung brachten. So lautete Mutters Leitspruch im Umgang mit dem einfachen Volk. Und ich dachte: Der kann bestimmt anpacken. Vielleicht kommt der gerade vom Bau oder so. Immer schön liebenswürdig bleiben. Du bist eine gut erzogene, höhere Tochter.
»Kennst du London?«, versuchte ich es mit höflichem Small Talk.
»Klar, schöne Lady!«
Schöne Lady. Ähm, klar.
Der blauäugige Typ hatte so was Nassforsches, dass es fast schon wieder amüsant war. Sein knackiger Hintern steckte in einer ziemlich alten Levis-Jeans. Sein verwaschenes T-Shirt, das ihm halb aus der Hose hing, hatte einen Grauschleier angenommen. Offensichtlich bügelte ihm seine Mama nicht die Hemden. Als Fußbekleidung hatte er Turnschuhe gewählt. Muttern hätte die Augen zum Himmel verdreht, Väterchen wäre sofort mit ihm bei Ladage & Oelke einkaufen gegangen und hätte dann an der Kasse gesagt: »Lassen Sie
mal stecken, junger Mann. Kaufen Sie sich lieber was Anständiges zu essen. Sie sehen so hungrig aus.«
In der Not, dachte ich in meinem hanseatischen Akademikertochter-Köpfchen, das mit einem schmalen Samt-Haarreif verziert war, in der Not frisst der Teufel Fliegen.
Dieser Blick! Wieso strahlte mich der fränkische John Travolta so an? Als hätte er im Lotto gewonnen. Hielt er mich womöglich für seinen … Lottogewinn? Das wurde mir direkt langsam unheimlich.
»Ähm … Bitte nimm doch Platz!« Ich fühlte, wie mir die Röte in die Wangen schoss. Dieser Ton war hier nicht angebracht. Mensch, Konstanze, mach dich mal locker! Wir sind hier auf einer Studentenfete, nicht bei Herrn und Frau Konsul an der Alster! Ich räusperte mich: »Setz dich, Alter!«
»Aber gern, Süße!« Der Mann war entzückt.
Ich stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn mit jenem Dolchblick an, den meine Mutter so gut draufhat.
»Ich wüsste nicht, wann ich dir erlaubt hätte, mich Süße zu nennen!« So, das hätte Muttern auf jeden Fall gesagt. Mich durchzuckte ein plötzlicher Gedanke. Muttern! Oder Väterchen? Hatten die etwa einen … Aufpasser, also vielleicht so eine Art Bodyguard für mich ausgewählt? Zuzutrauen wäre es ihnen!
»Wer schickt dich eigentlich?«, ereiferte ich mich. »Ich kann ganz gut selbst auf mich aufpass…«
Der große Typ lachte und hielt mir einfach seinen Zeigefinger an die Lippen.
Mein Herz begann immer lauter zu klopfen. Ja, wie cool war DER denn?! Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut!
Seine Hand landete auf meiner Schulter. Der Mann sah mir sehr intensiv in die Augen und sagte dann, so als spräche er mit einer Dreijährigen: »Niemand hat mich geschickt. Ich habe dich endlich gefunden!«
»Du hast mich ge… Was soll denn das
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