Schicksalsmord (German Edition)
Lydia:
Nie habe ich an das Schicksal geglaubt. Sein verhängnisvolles Walten ist das Lieblingsargument aller Schwächlinge, die sich ihr eigenes Versagen nicht eingestehen wollen. Ich weiß wovon ich rede, wurde ich doch von zwei wahren Musterexemplaren dieser Gattung aufgezogen.
Meine griesgrämige Mutter trauerte ein Leben lang ihrer großen Liebe nach, und wurde darüber nicht nur seelisch, sondern schließlich auch körperlich zum Krüppel. Mein verbitterter Stiefvater beklagte seinen verpassten beruflichen Aufstieg und die Missgunst der Kollegen, die er als Ursache dafür ausgemacht hatte. Darüber wurde er schließlich zum Trinker.
Ich hingegen bin immer eine Kämpferin gewesen, nie habe ich die Dinge einfach hingenommen, sondern stets versucht, sie zum Besseren zu wenden. Natürlich musste ich trotzdem Niederlagen und Rückschläge einstecken, doch nie hätte ich für denkbar gehalten, in eine derartige Situation zu geraten.
Anfangs glaubte ich noch an einen Irrtum, der sich ganz schnell aufklären würde. Bei meiner Verhaftung weigerte ich mich sogar, die nötigsten Sachen einzupacken. Wozu auch? Man würde mich ohnehin gleich wieder nach Hause lassen müssen. Meine autoritätshörige, beflissene Schwester Ulrike erledigte das Packen schließlich für mich.
„Ich habe meinen Mann nicht umgebracht!“ Wie oft habe ich diesen bedeutungsschweren Satz im Verlaufe des vergangenen Jahres wohl ausgesprochen? Hundertmal? Zweihundertmal? Oder noch öfter? Ich habe voller Nachdruck gesprochen, so, als wollte ich ein störrisches Kind überzeugen. Ich habe die Worte mit einem leicht unterdrückten Lachen untermalt, um zu verdeutlichen, wie absurd ich den Vorwurf finde. Ein paar Mal habe ich sie auch unbeherrscht herausgeschrien, obwohl das eigentlich meinem Temperament völlig zuwiderläuft. Geholfen hat es mir jedoch alles nicht. Ich bin des Mordes angeklagt, und soll für eine Tat zur Verantwortung gezogen werden, die ich nicht begangen habe.
„Ich habe meinen Mann nicht umgebracht!“ Das war auch der erste Satz, den ich meinem Pflichtverteidiger entgegenhielt. Selbst einen Anwalt zu benennen, hatte ich abgelehnt. Die Wahl eines Anwaltes wird schwierig, wenn es sich bei dem vermeintlichen Mordopfer um den angesehensten Strafverteidiger der Stadt handelt. Vor allem aber war ich unschuldig. Und das herauszufinden, würde auch einem Pflichtverteidiger keine Mühe bereiten. Als er zur Tür hereinkam, hatte ich meine Nachlässigkeit allerdings einen Moment lang bereut, weil ich fast glaubte, einen Studenten vor mir zu haben. Schmal wie ein Kind und geisterhaft blass, wirkte er wie Mitte 20. Umso mehr beeindruckten mich die Festigkeit seiner Stimme und die Autorität, die er schon bei den ersten Sätzen ausstrahlte.
„Frau Lydia Tanner?“ fragte er höflich, obwohl ja wohl feststand, wen er vor sich hatte. Lydia Tanner, geborene Schwarz, geschiedene Gondschar, 36 Jahre alt, von Beruf Rechtsanwalts- und Notargehilfin.
Er stellte sich als Dr. Karsten Hoffmann, mein Pflichtverteidiger, vor. Der Titel beeindruckte mich. Wie der erste Eindruck doch täuschen kann, er musste mindestens Mitte 30 sein, kaum jünger als ich. Unwillkürlich fragte ich mich, wie ich wohl auf ihn wirken mochte. Ich bin mir meiner Attraktivität als Frau durchaus bewusst, doch in dieser absolut ungewöhnlichen Situation beschlich mich Unsicherheit. Würde er sich mehr Mühe bezüglich des Falles geben, wenn er mich begehrenswert fand? Oder würde der Versuch, mit ihm zu flirten, meine Seriosität beeinträchtigen, die ich als des Gattenmordes Verdächtige unbedingt zu wahren hatte?
Allzu ernsthaft waren meine Gedankengänge nicht, und ich muss wohl unbewusst gelächelt haben, denn erst sein leicht irritierter Blick rief mich in die Gegenwart zurück. „Frau Tanner, möchten Sie sich zu den gegen Sie erhobenen Vorwürfen äußern oder soll ich Ihnen Fragen stellen?“, wiederholte er den Satz, der mir entgangen war. Ich empfand die ganze Situation einfach nur als absurd, schließlich wusste ich nicht einmal genau, was man mir eigentlich vorwarf. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, wie mein Mann nun eigentlich zu Tode gekommen war. Fest stand lediglich, dass es am Freitag, dem 13. Februar, zwischen 17 Uhr und 18:30 Uhr in seiner Kanzlei geschehen sein musste. Die genaueren Umstände verschwieg man mir, aus ermittlungstaktischen Gründen, wie es hieß. Am liebsten hätte ich mich deshalb überhaupt nicht geäußert. In den
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