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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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wußte, daß nur diejenigen Liebe empfangen, die Liebe haben. Er wollte nicht, daß die Menschen dem Bösen widerstrebten, und sagte, daß niemand seiner wert sei, der nicht alles aufgäbe, was er hätte.
    Aber die hohe Freude seines Gottbewußtseins wechselte oft mit tiefer Niedergeschlagenheit, denn er war ein Mensch, und wie alle Menschen, von denen ich euch erzählt habe, den irdischen Geschicken unterworfen. Sagte ich euch nicht, als ich euch von Traule erzählte, daß Leid und Freude aus der gleichen Quelle entspringen, und daß sie gleicherweise hervorströmen, wenn die geheimnisvollen Gründe der Brust erschlossen sind? So ging dieser einsame Verkünder des Reichs oft allein vor die Stadt auf einen Hügel, der mit Olivenbäumen bestanden war, und wenn er auf die Wohnungen der Menschen niedersah, überwältigte ihn sein Gram über ihre Armut, und er weinte. Er ahnte, daß nur wenige im Lauf aller Zeiten ihn verstehen, und daß sie ihn töten würden. Und er wußte, daß er sterben mußte, um den Menschen zu zeigen, daß er selbst sein Leben gering achtete, gegenüber der unverbrüchlichen Beständigkeit des Reichs.
    Als er einmal seine Zweifel, die Angst seiner Seele und das Übermaß seines Liebesverlangens nicht mehr ertragen konnte, trat er vor einen seiner Freunde hin, und mit einem tiefen Seufzer entrang sich seiner Brust die Frage:
    ›Hast du mich lieb?‹
    Sein Freund sagte zu ihm: ›Du weißt so viele Dinge, du weißt auch, daß ich dich lieb habe.‹
    Aber er fragte noch einmal und ein drittes Mal. Es kamen ihm in heißer Sorge die Menschen in den Sinn, die wie er um ihrer Liebe willen auf der Erde Schande, Erniedrigung und Not erleiden mußten, und die Angst zerdrückte sein Herz. Er bat seinen Freund, er möge ihn nicht vergessen und nicht die Hoffnung, nicht das Licht, die sein Herz bewegt hatten. Es war, als ahnte er, wie arg die Menschen einst seine Worte entstellen, und daß sie aufs neue die Freiheit zum Gesetz erniedrigen würden. Ein anderer seiner Freunde hat nie aufgehört, seinen Herrn zu lieben, er ist an seiner Liebe gestorben, wie eine Blume, im Glanz der strahlenden Sonne, an ihrer Seligkeit. Sein Geist sank in Nacht, weil seine Seele sich so schrankenlos dem Licht zukehrte, daß ihr das Irdische fremd wurde, wie die Dunkelheit. Aber bis in seinen letzten glühenden Traum sah er die Schönheit seines Herrn.
    Wie sollte ein irdischer Mund diese Schönheit schildern? Um das Licht seiner Worte sind seither auf der Erde mehr Kämpfe gefochten worden, als um jeden anderen Namen, Kriege sind um ihn geführt, wie niemals vorher. Nie hat die Erde mehr Blut als um seinetwillen getrunken. Die Schar der Märtyrer ist ohne Zahl, ja es ist, als habe seit jenen Tagen die Welt ihr Angesicht verändert und sich der Hoffnung auf ein ganz neues Ziel zugekehrt, denn glaubt mir, dem Reich, das dieser Mensch im Geist sah und im großen Herzen trug, dem Reich der Liebe, ist jede Lauheit und jede Halbheit fremd, seine Welten glühen wie von heiligen Feuern, und sein Friede ist Kraft. In ihm ist der Schrecken der Welt, das Böse, überwunden und mit ihm der Tod, den der große Prophet dieses Reichs gering achtete, wie ein Kind die Nacht, der der Morgen folgt. Und da sollte der Tod nicht furchtbarer als je sein vergängliches irdisches Recht geübt haben?
    Der Verkünder des Lebens aber ging in seiner Zeit einher wie ein Kind im Gemüt, wenn auch an Geist ein Mann und von mächtigem Willen. Immer ist mir zumut, als sähe ich ein einziges Glühen von Freude und Trauer und unaussprechlicher Hoheit eines edlen Menschentums, wenn ich seiner gedenke. Nie werde ich vergessen, was eines Tages geschah, als ihm der Tod begegnete.
    Einer seiner Freunde, den er geliebt und in dessen Haus er oft geweilt hatte, war gestorben, und als er kam, um ihn zu sehen, ruhte der Tote schon seit Tagen in seinem Grabe.
    Seine Freunde sahen, wie er sein Gesicht vor Schmerz verbarg, aber wie erschraken sie, als er plötzlich sein Haupt erhob, und sie einen so gewaltigen Zorn in seinen Zügen erblickten, daß sie entsetzt vor ihm zurückwichen. Er stand totenbleich vor dem Grabe seines Freundes, seine Fäuste waren geballt, und unter seiner bleichen Stirn brannten seine Augen, zum Himmel emporgerichtet, als sähe er Gott von Angesicht. Es brach eine furchtbare Drohung aus seinem Mund, er schüttelte die Fäuste gegen die finstere Erde, die der Gewalt des Todes gehorchend, seinen Freund verschlungen hatte. Es war, als beschwöre er die

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