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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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niemand in Erfahrung gebracht hat, wo er bis an die Grenze seines Mannesalters geweilt habe. Er soll einfach gekleidet gewesen sein und nicht nach Sitte der Gelehrten seiner Zeit, er trug einen Mantel wie ein Kleid, sein rauhes Haar fiel auf seine Schultern nieder, und als er damals unter das Volk trat, hatte er weder ein Haus, noch irgendwelches Eigentum, noch auch nur einen Ort, wo er hätte ruhen können. Er arbeitete nicht und ließ keine Sorge um sein irdisches Ergehen in sein Herz finden, denn sein Glaube war, daß der Vater im Himmel sich aller annähme, die ihn von Herzen suchen. Obgleich er allein war und niemanden um Liebe bat, auch um keines Menschen Freundschaft warb, fanden sich Männer, die sich ihm anschlossen und die keine Macht der Welt mehr aus seiner Nähe und aus seiner Gefolgschaft verbannen konnte. Man erzählt, daß sie ihn erblickt und die Worte vernommen hätten, die er zu den Leuten auf der Gasse sprach, und daß sie ihn darauf liebgewannen und sein armes Dasein mit ihm teilten. Sie ließen ihre Arbeit, ihr Haus und ihre Angehörigen ohne Bedenken zurück, um immer bei ihm zu sein.
    Man sprach bald im Land von diesem seltsamen Mann, aber man verstand ihn nur selten, denn was er den Menschen über die Liebe sagte, war so neu, so sonderbar und zugleich so strahlend in seiner Einfalt, daß die meisten erstaunt, erzürnt oder geblendet aus seiner Nähe wichen und ihn zu hassen begannen, denn er störte sie in der falschen Ruhe ihrer Herzensarmut. Er sprach nicht über alle jene Dinge, die sie Tag für Tag beschäftigten, nicht über ihre kleinen oder großen Sorgen, nicht über die Landesverwaltung, noch über die Sitten und Gebräuche, sondern er sprach über das Reich der Seele und über das Wesen der Liebe.
    Eines Tages erstieg er einen Berg, nahe bei einer großen Stadt und begann, den Vielen, die ihn begleitet hatten, zu sagen, was sein Herz bewegte.
    Er stand hoch und allein im Sonnenschein, in seinem schlichten Kleid, achtete nicht darauf, wie viele es waren, die ihm zuhörten, noch ob sie ihn wohlgesinnt oder feindlich betrachteten, er vergaß das Ungemach, das ihm von Menschen geschehen war, und sprach, als durchschiene ihn das Licht, in dem er stand, und seine Worte erklangen und leuchteten von Gedanken, als ob auch sie aus diesem Licht geboren wären.
    Unter seinen Worten sanken alle vergänglichen Werte der Erde dahin, als seien sie nichts, Reichtum, Macht, Ansehen vor den Menschen und alle zeitlichen Güter, und an ihre Stelle setzte er zum Wert der Welt die Liebe. Ihren Glanz nannte er das Reich, und er verhieß es nicht den Mächtigen und Starken, sondern denen, die reinen Herzens sind, denen, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ersehnen; sie nannte er das Licht der Welt.
    Als bei seinen Worten in den Herzen der Menschen, die ihm mit Zittern und Andacht lauschten, die Angst um den Bestand ihres irdischen Daseins sank, lenkte er ihre Blicke aus dem Wirrsal ihrer täglichen Lebenssorgen hinüber in die Ruhe der Felder, in den Frieden der Natur, und sprach von den Blumen und Vögeln, die nicht säen und nicht ernten, und die doch empfangen, was sie brauchen. ›Sorgt nicht für euer Leben,‹ rief er laut, ›ihr seid viel mehr als sie! Trachtet zuerst nach dem Reich, so wird euch alles andere zufallen.‹
    Das Bild und der Glanz des Reiches wurde unter seinen glühenden Worten zu einer neuen Heimat im Gemüt. Sorge, Haß, Feindschaft und selbst der Tod erloschen in diesem blühenden Lichte, wie vor der aufgehenden Sonne im Tal die Nebel der Nacht versinken. ›Ich bin zu euch gekommen, um alles zu erfüllen, was die Sehnsucht unserer Väter erfleht hat, ihr sollt mit mir vollkommen sein, wie Gott im Himmel vollkommen ist.‹
    Das Reich, von dem er sprach, wohnte und regierte im Tempel der Seele. Der Name Gottes und der Name der Liebe verwoben sich unter seinen Worten zu einer Einheit in unvergänglicher Freiheit. In seinem Herzen glühte der Wunsch, daß die Menschen sich von den vergänglichen Gütern der Erde abkehren möchten und sich unvergänglichen zuwenden. Mit heiligem Zorn und brennender Hoheit der Verachtung wandte er sich an die Schar der Landespriester, die unter dem Volke standen und ihm zuhörten, und er strafte sie um ihrer toten Gesetze und um ihrer Halbheit willen.
    Die Ergriffenheit und das Entsetzen der Menge nahmen überhand, er erschien den Menschen bald als ein himmlischer Gesandter eines ganz neuen Friedens, bald war ihnen, als müßte ein Gericht des Himmels

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