Himmelsvolk
diesen glühenden Geist der Verheißung und der Prophezeiung davonreißen. Aber nun wandte er sein Angesicht zum Himmel empor und sprach mit Gott, als sähe er ihn von Angesicht. Die erschütterten Menschen warfen sich zu Boden, ihnen war, als beschwöre die Inbrunst dieser Stimme Gott von seinem Thron nieder, mitten unter sie. Sie glaubten, er würde Gott zum Zeugen seines Rechts anrufen und Macht und Gewalt über die Erde für sich erflehen, aber er bat nur um Brot, darum, daß ihre Schuld vergeben sein möchte, und daß sie vor Unrecht bewahrt blieben. Wie in einem unendlichen Jubel des Glücks rief er mit zitternden Lippen zu Gott empor. ›Dein ist das Reich!‹
Der Abhang des Berges erschien wie ein Saatfeld nach dem Werk des Schnitters. Der Sonnenschein flimmerte in warmen Lichtschwingungen, und fern über den Gärten sangen die Lerchen im Himmelsblau.
Niemand könnte die Wirkung seiner Rede schildern. In Glück, Andacht und Entsetzen verließen die Menschen ihn, als er sie schloß, und der Ruhm seines Namens verbreitete sich im Land und weit über die Grenzen hinaus.
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Dieser unbekannte Gesandte einer neuen Botschaft, die die Liebe zum Wert der Welt erhob, zog weiter durch das Land und sprach auf den Märkten und Straßen zu den Menschen. Er fragte nicht danach, ob ein Mensch gute oder schlechte Eigenschaften hatte, sondern nach dem Verlangen seines Herzens. Das Heimweh der Menschen war ihm wertvoller als ihre Tugenden, denn er hatte kein Gefallen an Opfern, sondern nur an Barmherzigkeit. So nahm er eine Verworfene an sein Herz, als er die Trauer ihrer Demut sah, aber er verwarf die Opfer eines reichen Mannes, dessen Herz sich nicht von allem trennen konnte, was er hatte. Aber wo er Glauben an sein Reich der Liebe fand, entschuldigte er alles, und wenn er jemandem half, so bekümmerte es ihn nicht, welchem Land oder welcher Kirche er angehörte. Das Leid der Menschen zog ihn an, er folgte ihren Schmerzen, als wäre er um ihretwillen gekommen, er konnte sich keinem Elend verschließen. Einmal kam ein fremder Kriegsherr zu ihm, der ihn kaum kannte, und nur von ihm gehört hatte, und bat ihn, er möchte seinen kranken Knecht gesund machen. Da antwortete er ihm:
›Ich werde kommen und es tun.‹
Aber der Fremde lächelte abwehrend und rief:
›Ich bin nicht wert, daß du in mein Haus kommst, sag’ nur ein Wort, und mein Knecht wird gesund werden!‹
Mit einem heißen Erschrecken der Freude über das Vertrauen, das in diesen Worten lag, wandte der Angeredete sich seinen Freunden zu. Er verbarg die Tränen, die sich in seine Augen drängten und sagte:
›Unter euch habe ich solchen Glauben nicht gefunden.‹
Dann wandte er sich dem fremden Kriegsherrn aufs neue zu und sagte ihm, als wäre nichts geschehen, das eines Dankes wert sei, daß er daheim seinen Knecht gesund finden würde. Und wirklich fand der Herr seinen Knecht gesund.
Solche Macht war ihm gegeben. Niemand begriff, woher sie ihm kam, aber er lächelte und sagte: ›Ihr alle könntet Berge versetzen, wenn ihr nur so viel Glauben an die Liebe hättet wie ein Senfkorn.‹
Seine Freunde, die ihn begleiteten, verstanden ihn nur selten. Oft fürchteten sie ihn, häufiger waren sie um ihn besorgt. Besonders seit er einmal allein, mit einer Geißel in der Hand, in das Gotteshaus gegangen war und die Händler vertrieben hatte, die dort ihre Tische aufzustellen pflegten, empfanden manche ein heimliches Grauen vor seiner Kühnheit. Denn er hatte den Leuten ihre Geldschalen mitsamt ihren Waren zu Boden geworfen, so daß ihre Habe durcheinander rollte. Ihre Wut beachtete er so wenig, als ob eine mächtige Schar ungezählter Engel ihn unsichtbar begleitete und ihm Macht über alle Macht der Erde verlieh. So fürchteten seine Freunde sich oft vor seiner Strenge und der Unerbittlichkeit seiner Forderungen und seines Willens zum Guten, aber als sie ihn einmal in ihrer Besorgnis fragten, antwortete er ihnen:
›Wer meine Worte hört und glaubt nicht, den werde ich nicht richten, denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Menschen richte, sondern daß ich sie glücklich mache.‹
Obgleich er viel und zu allen Leuten sprach, sagte er doch, daß niemandem ein Gut der Seele gegeben werden könnte, der nicht schon reich an Kraft des Gemüts war; so redete er auch von solchen, die für das Reich erwählt seien und von solchen, die es nicht finden sollten. Denn er kannte den alten Irrtum der Welt, daß jemand Liebe empfangen kann, der keine zu geben hat. Er
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