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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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Allmacht der Liebe, und sein Liebeswille wuchs an in ihm, wie ein strahlendes Ungewitter. Es herrschte Totenstille um ihn her, nie hat der Glaube an die Ewigkeit des Lebens irdisch ein gewaltigeres Feuer in der Seele eines Menschen entfacht. Mit zitternden Händen und von Furcht wie geblendet, gehorchten seine Freunde, als er ihnen befahl, die Steinplatte zu heben, unter der der Tote lag, und das Grab zu öffnen.
    Da trat er dicht vor die Gruft, erhob seine Stimme und rief laut den Namen des Toten.
    Die Menschen schrien auf vor Entsetzen und warfen sich zur Erde, unten aber, im Schattengrund der Gruft, begannen die weißen Tücher sich zu regen, in die der Verstorbene eingehüllt war. Er befreite sich langsam, der Stimme gehorchend, die ihn rief, und stieg aus seinem Grabe hervor, die geblendeten Augen, die das irdische Licht wiedersahen, mit der bleichen Hand schützend und mit einem stillen erstaunten Lächeln in seinen elenden Zügen, von denen die Schatten des Todes langsam wichen, als er die Augen seines Befreiers sah und ihn erkannte.
    Dies wird das größte Wunder genannt, das die Erde gesehen hat, und wenn der Mann, der es vollbrachte, es vor den Menschen tat, so geschah es aus Zorn gegen den Tod, den sie fürchteten, und in der glühenden Allmacht seiner Gewißheit, daß die Liebe mächtiger als er ist. In ihrem Reich ist diese Tat kein Wunder, unsere Augen sehen es täglich, und glaubt mir, ihr Lieben, meine Blumen, die Stunde, in der eure Kelche sich der Sonne geöffnet haben, ist an wunderbarem Reichtum nicht geringer als die, in welcher einst jener Tote aus seinem Grabe stieg. Noch heute erweckt die Kraft des Reichs Tote auf, und sie wird es immer tun.
    Niemals hat ein Mensch in heißerer Zuversicht an die Kraft des Reichs geglaubt. Es ist dasselbe Reich, in dessen Abglanz wir Bäume unsere Blätterkronen entfalten, ein Tier die Luft zu seinem Leben einatmet, die Sternbilder im All erstrahlen, und in dem ein Jüngling das Mädchen in seine Arme schließt, das er liebgewonnen hat. Das Reich ist nicht fern in fremden Himmeln, sondern mitten unter uns, daß es zu uns kommen möchte, ist nun unser aller Gebet geworden, und mit dieser Bitte erflehen wir den warmen blühenden Frühling herbei, den Frieden unserer Stätte, den Weg unserer Seele zum Licht und die stete Wiederkehr der Freude. Wir sind alle auf dem gleichen Weg. Immer ist es reine Freude, in welcher das Reich zu uns kommt.
    Einst fand ein Kind in meinem Schatten am Ufer des Bachs einen bunten Stein, es hob ihn auf und lachte; ich fing einen Schein aus seinen Augen auf, da verstand ich das Reich. Da verstand ich, daß jener Mann, von dem ich euch erzähle, einst gesagt hat: Ihr könnt das Reich nicht finden, wenn ihr nicht wie Kinder werdet.
    Mir ist, als habe für die Menschen nichts anderes Wert auf der Erde, als daß sie das Reich in ihren Herzen finden. Ihr Leib wird älter, aber ihre Seele jünger, wenn sie den Weg der Liebe gefunden hat. Für den Körper naht langsam der unvermeidliche Tod, aber für die Seele der Frühling. Für den Leib wird einst das Leben, aber für die Seele der Tod aufhören, es ist ein seltsames Wunder um das Geschick und die Bestimmung der Menschen auf unserer Erde.
    **
*

    Aber den Freunden dieses großen und guten Menschen erschien es nun mehr und mehr, als habe er nicht getan und nicht erreicht, was er versprochen hatte und wozu er bestimmt war. Sie hofften, er würde nun endlich das Reich aufrichten, von welchem er so oft sprach, und bisweilen sahen sie ihn in ihrer Vorstellung als König über die Welt herrschen in niegesehenem irdischen Glanz. Dann wieder wuchs ihre Furcht vor seiner Wirkung, und sie begriffen nicht, daß er keinen Nutzen aus ihr zog. Es befiel sie Angst um ihr Leben, als sie sahen, wie der Haß der Landespriester gegen ihn mehr und mehr anwuchs. Sie verstanden nicht, daß er keinen Wunsch hatte, als den, daß die Menschen sich von den vergänglichen Gütern den unvergänglichen zuwenden möchten, und daß es keinen anderen Weg dazu gibt, als den der Liebe, und daß allein der Wille zum Guten das Herz frei macht.
    Er begriff, traurigen Herzens, ihre Hoffnungen und ihre Zweifel, und einmal sagte er zu ihnen, und seine Augen leuchteten vor Zorn:
    ›Das Reich ist in seiner Wirkung einem Stein vergleichbar, den die Bauleute fortgeworfen haben, und der am Wege liegengeblieben ist. Hütet euch! Er wird alle zerschmettern, auf die er stürzt, und wer über ihn fällt, wird zerschellt werden!‹
    Da

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