Hingabe
Sie hat, und Sie werden gut auf ihn achtgeben.«
»Das werde ich«, verspreche ich. »Das werde ich ganz bestimmt.«
»Ich weiß, Schätzchen. Wir lieben Sie dafür, dass Sie ihn so lieben, wie Sie es tun. Rufen Sie mich an, wenn Sie können, und lassen Sie mich wissen, wie es ihm geht.«
Ich verspreche es, und wir legen auf. Ich schaue aus dem Fenster und kämpfe gegen die Tränen an, die Chris nicht sehen soll, entschlossen, für ihn stark zu sein.
»Sie hat die Sache mit dem Verkehr nicht geglaubt«, sagt Chris.
Ich schüttle den Kopf. »Nicht eine Sekunde.« Um ihn von den schlimmen Dingen abzulenken, stelle ich Fragen nach unserem Zielort. Wir verbringen den Rest der einstündigen Fahrt damit, über den erstaunlichen Wald rings um Fontainebleau zu sprechen, einen Wald, der mit seinen gewaltigen Bäumen ein Kunstwerk der Natur ist, und über das Château, das seine Eltern als Feriendomizil gekauft hatten, als er ein kleines Kind war, noch bevor er mit seinem Vater nach Paris zog. Aber wie sehr ich auch versuche, ihn ins Gespräch zu ziehen, Chris wird immer stiller, je näher wir unserem Ziel kommen.
Als wir endlich vor dem abgeschiedenen, mehrere Hektar großen Besitz vorfahren, bin ich vollkommen von den Socken beim Anblick von etwas, das aussieht wie eine mittelalterliche Burg. Es hat mehr die Größe eines Hotels als die eines Hauses und Türmchen auf den Dächern sowie hohe weiße Steinmauern. Außerdem liegt es inmitten einer sanft gewellten Hügellandschaft.
»Es ist umwerfend, Chris«, sage ich und drehe mich zu ihm um. Er betrachtet das Gebäude, als habe er es noch nie zuvor gesehen.
»Ich komme nicht oft hier heraus, daher habe ich eine Dame und ihre kleine Tochter, die auf dem Besitz hinter dem Haus leben und sich für mich darum kümmern.« Er sieht mich an. »Schnapp dir deine Jacke. Ich will dir etwas zeigen, bevor wir hineingehen.«
Ich schlüpfe in meinen Mantel, und Chris geht um den 911er herum, um meine Tür zu öffnen. Er hilft mir heraus und legt mir einen Arm um die Schultern. Sein kräftiger Körper beschirmt mich vor der Kälte. Ich habe den Eindruck, dass er etwas in der anderen Hand hat, das er vor mir verbirgt, aber ich kann nicht erkennen, ob es stimmt. Ich will gerade danach fragen, als er auf einen Hügel unter einem gewaltigen unbelaubten Baum mit riesigen ausladenden Ästen zeigt, der bestimmt zauberhaft aussehen wird, wenn er blüht. Als wir näher kommen, krampft sich mein Magen zusammen, denn mir wird klar, dass wir nicht ein Grab, sondern zwei Gräber besuchen.
Ich sage nichts. Ich bin mir nicht sicher, was ich sagen
soll,
und wenn ich zu viel rede, wird Chris keine Chance haben zu sagen, was er sagen muss. Heute geht es darum zuzuhören oder einfach still an seiner Seite zu sein. Denn das wird er brauchen.
Unter dem Baum bei den Gräbern stellt Chris den Gegenstand in seinen Händen auf den Boden – eine Weinflasche und einen Korkenzieher. Er ist geladen wie eine Gewitterwolke kurz vor Ausbruch des Unwetters, und ich bereite mich auf den Regenguss vor, einschließlich jeder Menge Blitz und Donner.
Nachdem er aus seinem Mantel geschlüpft ist, breitet er ihn auf dem Boden aus und bedeutet mir, Platz zu nehmen. Froh darüber, dass ich meine abgenutzte, verwaschene Lieblingsjeans trage, rutsche ich herüber, damit er neben mir auch noch Platz hat.
Chris öffnet den Wein, setzt sich neben mich auf den kalten Boden und nimmt dann einen großen Schluck direkt aus der Flasche. »Trink«, sagt er und hält mir die Flasche hin. »Es ist eine der kostbaren Flaschen meines Vaters. Zehntausend Dollar wert. Gutes Zeug. Verschwende es nicht.«
Da ich weiß, dass es ihm wichtig ist, greife ich nach der Flasche und nehme einen Schluck. Der leichte süße Geschmack entfaltet sich auf meiner Zunge, und er wäre köstlich, wäre er nicht durchmischt mit der Bitterkeit, dass sein Vater sich zu Tode getrunken hat, nachdem er seinen Sohn jahrelang aus seinem Leben ausgeschlossen hatte.
Chris nimmt einen weiteren großen Schluck und bietet mir auch wieder einen an. Ich hebe die Hand. »Nein danke.« Mehr vertrage ich einfach nicht.
»Da ist noch etwas, das ich dir nicht erzählt habe«, sagt er.
In seinen Augen lese ich, dass dieses »noch etwas« bedeutungsvoll ist. Ich schnappe mir die Flasche und genehmige mir doch einen großen Schluck, dann reiche ich sie ihm zurück.
»Der Unfall, bei dem meine Mutter ums Leben kam, hat sich nur wenige Meilen von hier entfernt zugetragen.«
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