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Hingabe

Hingabe

Titel: Hingabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Postert
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einem Fahrzeug mit einer fremden Person am Steuer, die sie weder sehen noch ansprechen konnte.
    ‚Bei der nächsten Gelegenheit steige ich aus. Das geht dann doch zu weit. Lieber M., die Prüfung besteh ich nicht.‘
    Lena hatte den Entschluss gef asst. Sie wollte sich nicht blindlings alles gefallen lassen. Nicht so. So weit ging ihr Vertrauen doch noch nicht.
    Sie schaute aus dem Fenster. Vielleicht gab es gleich noch einmal eine Möglichkeit, den Wagen zu verlassen. Auszusteigen. Aus diesem – aufregenden Traum, aus ihrem realen Zwischenleben – auszusteigen. Normalerweise konnte man sich auf die katastrophalen Ampelschaltungen der Hansestadt verlassen. Aber die nächsten Minuten hatte sie kein Glück. Das Taxi fuhr gleichmäßig Richtung Innenstadt, ohne dass es an einer Ampel halten musste. Bei jeder Ampel, der sie sich näherten, hoffte Lena, sie möge umspringen und die Fahrerin zum Anhalten zwingen. Aber genau heute Abend tat ihr keine Ampel den Gefallen. Das Taxi fuhr und fuhr. Doch an einer Grünanlage verlangsamte es plötzlich seine Fahrt. Lena legte eine Hand an den Türgriff. Sie war fest entschlossen, die Chance zur Flucht aus dem Taxi zu ergreifen. Da, das Taxi hielt an. Lena drückte möglichst vorsichtig und leise den Türgriff hinunter und versuchte, die Tür zu öffnen. Im selben Moment wurde die Tür von außen geöffnet. Erschrocken prallte Lena zurück. Ein Mann im Anzug und Mantel stieg ein, einen Hut tief ins Gesicht gezogen. Lena schaute ängstlich in seine Richtung. War es…
    „Guten Abend.“
    Die Stimme kannte sie. M.
    „Kannst du mir sagen, was das hier wird?“
    Lenas Ton war nicht unterwürfig, sondern ärgerlich. Er hatte sie zu Tode geängstigt, schlimmer noch, sie glaubte, ihr Vertrauen verloren zu haben.
    M. klopfte zweimal gegen die Trennscheibe. Das Taxi setzte sich wieder in Bewegung.
    Lena schaute ihn an, konnte aber sein Gesicht nicht erkennen. Der Hut saß zu weit in der Stirn. Er gab keine Antwort. Sie schaute kurz weg und aus dem Fenster. Auch zur anderen Tür konnte sie noch flüchten. Wenn er ihr keine befriedigende Antwort gab, würde sie gehen. Dann wäre es ein kurzes besonderes Intermezzo.
    Gewesen.
    Sie schaute wieder zu ihm. In seiner Hand lag ein schwarzes Tuch.
    „ICH möchte, dass du dir die Augen verbindest.“
    „Ist das eine Antwort auf meine Frage?“
    Aus Lenas Stimme war der Ärger nicht gewichen. Ein wenig milder, aber er war immer noch da.
    „Es ist ein Teil von diesem Abend. Das Taxi kann jeden Moment anhalten, wenn du das möchtest. Oder wir wenden und fahren zurück. Es liegt bei dir.“
    „Du möchtest, dass ich mir die Augen verbinde? Und dann?“
    „Das sage ich dir dann.“
    Sie schaute ihn an. Lena versuchte, einen Teil des Gesichtes zu sehen. Doch es gelang ihr nicht. Die Beleuchtung im Taxi und der Hut ließen nicht das kleinste Detail erahnen. Sie war ihm so nah und doch so fern. Lena streckte die Hand aus, als wolle sie nach seinem Hut fassen. Im Taxi breitete sich auf einmal eine Spannung aus, die das Taxi zu sprengen drohte. M. blieb unbeweglich. Als würde er warten, ob sie versuchen würde, ihn zu demaskieren? Hatte ER diesmal eine Grenze überschritten? War ER zu weit gegangen? Lenas Hand war seinem Gesicht schon ganz nah. Doch im letzten Moment senkte sie sie und sie nahm ihm die Augenbinde aus der Hand.
    „Also du möchtest, dass ich die Augenbinde umbinde?“
    „Also du möchtest, dass ich wiederhole, was du genau verstanden hast?“
    Seine Stimme klang ganz ruhig, beinahe so wie vorher auch. Und doch schwang in ihr ein beinahe gefährlicher Unterton mit. Aber nur beinahe. Es war nur eine leichte Stimmung, die in der Stimme mitschwang. Lena konnte den Ärger heraushören, auch wenn es nur eine Nuance war. Er wurde ärgerlich, er stellte ihr eine rhetorische Frage.
    Lena schaute auf den Boden.
    „Nein, natürlich nicht. Verzeih.“
    Sie nahm die Augenbinde vor ihr Gesicht. Schaute nicht mehr zu ihm herüber. Sie legte sich die Binde um und zog sie dann hinten fest zu. Sie versuchte nicht, die Binde so anzulegen, dass sie an den Seiten herausspähen konnte. Mit einem Mal spürte sie seine Hand hinten an ihrem Kopf. Er kontrollierte den Knoten. Lena konnte nicht sehen, dass er vorne mit Handbewegungen kontrollierte, dass sie tatsächlich nichts sehen konnte.
    Der Wagen fuhr weiter. Lena konnte nun nicht mal mehr erahnen, wohin. Sie wartete, so geduldig es ihr möglich war, dass M. irgendetwas sagte, beziehungsweise ihr

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