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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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1. KAPITEL
     
    Die bretonische Küste im Jahre
4372 v.
Chr.
     
    An dem Tag, an dem Marrah zur Frau werden sollte, schlug sie die Augen auf, als gerade die ersten blassen Lichtstrahlen durch den Rauchabzug des Langhauses ihrer Urgroßmutter hereinfielen. Einen Augenblick erlebte sie ein Gefühl, als tauchte sie langsam aus großer Tiefe an die Oberfläche auf, so als folgte ihre Seele ihrem Körper zurück in die Welt des Wachzustands, aber dann erinnerte sie sich wieder, welcher Tag heute war, und plötzlich war sie hellwach.
    Besorgt fragte sie sich, ob es immer noch regnete. Gestern, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, war ein gewaltiger Sturm von Norden her aufgekommen. Den ganzen Abend hatte es in Strömen geregnet, und riesige graue Brecher waren gegen den Strand geschlagen und hatten die Erde mit einem derart ohrenbetäubenden Tosen erschüttert, daß die Leute schreien mußten, um sich Gehör zu verschaffen. Amonah, die Göttin des Meeres, hatte den weißen Schaum ihres Haares mit dem Sturm über den Strand wehen lassen, bis man nicht mehr sehen konnte, wo das Land aufhörte und das Meer anfing, und es hatte Alarm gegeben, damit die Fischerboote außerhalb der Reichweite der wilden Brandung gezogen und mit Steinen gefüllt wurden, bevor die Göttin sie als ihr Eigentum fordern konnte.
    Marrah hielt den Atem an und horchte auf das verdächtige Geräusch trommelnden Regens auf dem Reetdach. Wenn sich das Wetter nicht über Nacht aufgeklart hatte, würde ihre Feier zur Erreichung der Volljährigkeit um einen ganzen Monat verschoben werden müssen, bis es wieder Vollmond war. Ohne Zweifel würde dies genau die Lektion in Geduld sein, von der Urgroßmutter Ama immer behauptete, daß Marrah sie nötig habe, obwohl man von einem jungen Mädchen, das im Begriff war, eine Frau zu werden, wohl kaum erwarten konnte, daß sie sich darüber freute. Es gab nur zwei Male im Leben eines jeden, wenn alle Mitglieder der Gemeinschaft zusammenkamen, um ihm zu Ehren zu feiern und zu tanzen. Das eine Mal war der Tag, an dem er volljährig wurde, und das andere der Tag, wenn seine Knochen zur ewigen Ruhe neben den Gebeinen seiner Vorfahren gebettet wurden. Hätte Marrah die Wahl gehabt, dann wäre ihr Regen am Tag ihres Begräbnisses weitaus lieber gewesen.
    Das Reetdach über ihrem Kopf schien leise zu rascheln. War es Regen oder Wind? Wind, entschied sie, und ihr Herz machte einen freudigen Sprung. Es wehte nur noch ein leichter Wind, und der Regen hatte völlig aufgehört! Und es schlugen auch keine gewaltigen Brecher mehr an den Strand; nur das sanfte Rauschen der Brandung war noch zu hören, so gleichmäßig, so sehr Teil ihres Lebens, daß sich Marrah ohne das Geräusch verloren vorgekommen wäre. Die Göttin Amonah hatte ihr Gebet erhört, gelobt sei Amonah!
    Marrah streckte sich, setzte sich vorsichtig auf und blickte sich in der Schlafecke um. Rechts von ihr schlief ihr achtjähriger Bruder, Arang, tief und fest, einen Arm behutsam um seine Vogelmaske aus Stroh gelegt. Arang würde einen Strandläufer darstellen bei dem Vogeltanz, den die Gemeinschaft der Kinder an diesem Abend aufführte, und er hatte den vergangenen Monat über eifrig geübt, auf einem Bein zu stehen und die Hüpfer und Tauchsprünge des Vogels nachzuahmen, während sein bester Freund, Kopeta, auf einer Spielzeugtrommel den Rhythmus für ihn schlug. Arang war ein schmächtiger Junge mit weichem dunklen Haar, langen Wimpern und rosigen Wangen, und er sah immer so friedlich und lieb aus, wenn er schlief, aber wenn Marrah ihn weckte, würde er ihr folgen und sie wahrscheinlich necken, und sie war an diesem Morgen nicht in Stimmung für Scherze.
    Auf der anderen Seite von Arang lag Sabalah auf einem Stapel von Schaffellen, den Kopf an die Schulter ihres Partners, Mehe, gelehnt, der leise schnarchte, wobei sich sein Bart bei jedem Atemzug zitternd hob und senkte. Marrah warf einen prüfenden Blick in Sabalahs Gesicht, um sicherzugehen, daß sie auch wirklich schlief. Es war ein Gesicht, das große Ähnlichkeit mit ihrem eigenen aufwies, und sie hatte oft voller Stolz gedacht, daß jeder, der sie beide anschaute, sofort wissen mußte, daß sie Mutter und Tochter waren. Um Sabalahs Augen und Mund zeichneten sich feine Falten ab wie winzige Risse in einer glatten Glasur, aber abgesehen von diesen Zeichen des Alterns hatten Sabalah und Marrah die gleichen feingeschnittenen Züge: lange, schmale Nase, hohe Wangenknochen, volle Lippen und dichtes schwarzes Haar,

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