NEON - Unnützes Wissen 03
VORWORT
Ist »Unnützes Wissen« Literatur? »For sale: Baby shoes, never worn.« Sechs Wörter, eine ganze Geschichte. Dieser berühmte und raffinierte Satz wurde oft als Sechs-Wörter-Roman bezeichnet, weil darin so viel anklingt, so viel angedeutet wird. Er wurde oft Hemingway zugeschrieben; von wem er wirklich stammt, weiß man bis heute nicht. Das Kunstvolle des Satzes besteht darin, mit so wenigen Wörtern wie möglich so viel wie möglich zu erzählen. Die Reduktion ist in jeder Kunstform die Königsdisziplin. Blitzschnell macht sich der Leser aus einem solchen Schnipsel ein großes Bild davon, was geschehen sein muss. »Flash Fiction« wird dieses Genre der kürzesten aller Kurzgeschichten deshalb auch genannt. Extrem kurze Beispiele werden als »Micro Fiction« bezeichnet. Es sind verdichtete Sätze, die mehr anklingen lassen, als dasteht. Ein Spiel mit den Erfahrungen und Erwartungen des Lesers.
So funktionieren auch viele der Sätze, die sich in diesem »Unnützes Wissen«-Buch finden. Sprachlich und inhaltlich verdichtet, sagen die einzelnen Sätze mehr aus als den bloßen Fakt. Sie erzählen vom Leben an sich. Sie stellen Assoziationen her. Ein Beispiel: »Wenn männliche Fruchtfliegen keinen Erfolg bei Weibchen haben, trinken sie mehr Alkohol.« Der Satz spiegelt das Trübsal des menschlichen Leidens, in einem Satz zusammengefasst; die Kulturgeschichte der Liebe zehrt seit Jahrhunderten von diesem Motiv. Und was könnte mehr über die Kurzlebigkeit des menschlichen Geistes erzählen als folgende historische Episode: »Römische Statuen wurden oft zunächst ohne Kopf hergestellt. So konnte man die Köpfe auswechseln.« Medizinischen Wundern folgen manchmal emotionale Wunden: »Zweieiige Zwillinge können verschiedene Väter haben.« Und manche Fakten sind auch einfach lustig: »Die Startmelodie für Windows 95 komponierte Brian Eno auf einem Apple.« Die besondere Schönheit dieser Minigeschichten liegt darin, dass sie nicht konstruiert, nicht erfunden, nicht hingebogen wurden. Sie sind so wahr, wie sie dastehen. Klitzekleine Momente, in denen die Dimension des menschlichen Seins aufflackert. Gewissermaßen »Flash Truth«.
Damit sicher ist, dass alles der Wahrheit entspricht, unterläuft jeder »Unnützes-Wissen-Fakt« eine langwierige Prozedur. Manchmal liegen hinter einem sehr kurzen Punkt wochenlange Recherchen. So stießen wir auf das Gerücht, dass die Serie »Unter uns« eine Cola-Eigenmarke hat, die dort »Fresh« heißt. Wir fanden aber keine Indizien dafür. Nicht bei Ausschnitten aus Videos auf YouTube oder anderen Video-Plattformen, nicht bei der Google-Bildersuche oder im Pressearchiv, nicht auf Blogs oder Community-Seiten, nicht in einer recherchehalber in voller Länge angesehenen Folge (in der trank einfach niemand koffeinhaltige Limonade). Eine offizielle Mail von RTL gab schließlich Aufschluss: Nein, die Cola heiße in der Serie nicht »Fresh«. Sie heiße »Fresh Up!« (126).
Seit der ersten Ausgabe, also seit Sommer 2003, findet sich in jedem NEON-Magazin das »Unnütze Wissen«, über das wir jedes Mal dazuschreiben: »Zwanzig Fakten, die man im Gedächtnis behält, obwohl man sie sich nicht zu merken braucht.« Es ist eine der beliebtesten Rubriken des Heftes, wohl auch, weil sie die Absurdität und Skurrilität der Welt so gut abbildet. Alle drei bisher erschienenen »Unnützes-Wissen«-Bücher waren große Erfolge, sowohl das erste als auch das zweite Buch standen auf der Bestsellerliste. Die tägliche Dosis »Unnützes Wissen« auf Twitter hat über 95 000 Follower, knapp einer halben Million Menschen gefällt das »Unnütze Wissen« auf Facebook, 350 000 Personen haben das Unnütze Wissen als App auf ihrem Smartphone, auf Neon.de gibt es ein Quiz zum Spielen. Und uns erreichen jeden Monat Hunderte nette Mails von Lesern und Usern, die aufgeschnapptes »Unnützes Wissen« an uns schicken, etwa: »Bei einem USA-Aufenthalt ist mir unnützes Wissen begegnet. Vielleicht ist das was für euer Heft?« Der Leser mailte ein Foto einer Getränkeflasche, in deren Deckel ein George-Washington-Fakt gedruckt war. Wir recherchierten weiter, und daraus entwickelte sich eine ganze Seite mit Fakten zu US-Präsidenten (500–510), darunter ein so schöner wie: »George Washington, der erste Präsident der USA, trug ein Gebiss aus Nilpferd-Elfenbein.«
Darüber freuen wir uns natürlich sehr, nur so kommen auch wirklich jedes Mal »1374 skurrile Fakten« für die Bücher zusammen. In
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