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Hinter verzauberten Fenstern

Hinter verzauberten Fenstern

Titel: Hinter verzauberten Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Funke
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etwas zu groß für ihn und hing ihm bis über die Augenbrauen.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken!«, sagte Julia.
Der kleine Mann begann mit vorsichtigen Schritten auf sie zuzugehen. Nur einen Meter vor ihr blieb er stehen. Unter seiner großen Nase begann sich ein Lächeln auszubreiten. Schließlich reichte es von einem Ohr bis zum anderen.
»Du bist aus dem Zimmer gekommen, nicht wahr?«, fragte er mit leiser Stimme und zeigte auf das offene Fenster.
Julia nickte.
Der kleine Mann machte eine tiefe Verbeugung, wobei er mit einer Hand die Perücke festhielt. Dann ergriff er Julias Hand und schüttelte sie überschwänglich.
»Ich freue mich ja so!«, rief er. »Gestatten, mein Name ist Jakobus Jammernich, von Beruf Flugmaschinenerfinder. Seit heute Morgen hatte ich die winzige Hoffnung, dass du kommst. Seit ich oben auf dem Dachboden das offene Fenster entdeckt habe.« Er wies mit dem Kopf auf die zersprungene Vase. »Ich war gerade dabei, es hier ein bisschen schön zu machen, aber – schwups – schon warst du da! Oh! Es ist so eine Freude! Darf ich fragen, wie dein Name ist?«
»Ich heiße Julia«, sagte Julia, »Julia Schultze.«
»Ah! Welch ein wundervoller Name!«, sagte Jakobus und strahlte über sein ganzes langes Gesicht.

    »Ich kann es immer noch nicht fassen. Es ist so eine Ehre für mich. Die erste Besucherin seit so vielen Jahren in meiner Wohnung! Eine unbeschreibliche, unglaublich wunderbare, absolut unermessliche Ehre!« Und er verbeugte sich gleich noch einmal, wobei er vor lauter Aufregung vergaß, seine Perücke festzuhalten. Sie plumpste auf den Teppich, und Jakobus Jammernichs völlig kahler Schädel kam zum Vorschein.
    »O Verzeihung«, sagte der kleine Mann und stülpte sich die silberne Lockenpracht wieder auf den Kopf. Sein strahlendes Lächeln verschwand dabei auch nicht einen Augenblick lang. »Das ist die Freude, die große Freude, weißt du.« Und wie zum Beweis wischte er sich eine Freudenträne von der Nasenspitze.
    Julia war furchtbar verlegen. So eine Begrüßung hatte sie noch nie erlebt.
»Danke schön!«, stammelte sie. »Danke schön, lieber Herr Jammernich.«
»Jakobus«, sagte der kleine Erfinder. »Bitte, nenne mich Jakobus. Es würde mich sehr freuen. Alle meine Freunde nennen mich so.«
»Gern«, sagte Julia, »lieber Herr Jakobus… ich meine… lieber Jakobus.«
»Du bist noch ein bisschen durcheinander, nicht wahr?«, fragte der kleine Erfinder.
»Ja«, sagte Julia, »aber ich freue mich sehr, hier zu sein. Obwohl ich keine Ahnung habe, wie ich hier reingeraten bin.«
»Oh, das ist ziemlich einfach«, sagte Jakobus Jammernich, »du hast ein Fenster geöffnet und lange genug hineingesehen. Wenn du nachher wieder nach Hause willst, brauchst du nur durch das Fenster zu schauen – und schwups – liegst du in deinem Bett. Aber«, der kleine Mann warf Julia einen besorgten Blick zu, »du bleibst doch noch, oder?«
»Aber natürlich. Sehr gerne«, sagte Julia.
»Da bin ich aber froh.« Jakobus seufzte erleichtert. »Du musst wissen, du bist der erste Gast in diesem Haus seit vielen, vielen Jahren. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange wir schon darauf warten, dass sich endlich einmal wieder eins der Fenster öffnet und jemand zu uns hereinschaut. Es war so furchtbar, all die Jahre immer vergebens zu warten. Wir hatten schon alle Hoffnung verloren.«
»Wir?«, fragte Julia.
»Ja, natürlich«, sagte Jakobus. »Alle, die hier wohnen. Was wird das eine Freude sein, wenn ich ihnen erzähle, dass endlich wieder ein Kind aus der anderen Welt zu Gast bei uns ist. Ich kann es kaum erwarten!« Jakobus klatschte voll Vorfreude in die Hände. »Moment, ich werde nur mal eben eine neue Vase für die Blumen holen!« Eilig huschte der kleine Mann nach nebenan.
Als er mit einer großen, roten Vase wiederkam, war Julia gerade dabei, sich den großen Globus anzusehen. Jakobus hockte sich auf den feuchten Teppich und begann die Blumen aufzusammeln. »Ich erkenne hier überhaupt nichts«, sagte Julia ratlos.
»Das kannst du ja auch nicht«, sagte Jakobus kichernd. »Das ist ein Globus von unserer Welt, ich zeige dir, wo wir sind.« Der kleine Mann wischte sich die nassen Hände an seiner Hose ab und stand auf. »Da«, sagte er und legte einen Finger auf die Holzkugel, »da ist das Königreich der Kalenderhäuser. Und dieser winzige, blaue Punkt ist der See, an dem dieses Haus liegt. Siehst du?«
»Ich würde zu gerne mal nach draußen gucken«, sagte Julia, »aber durch das Fenster

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