historical 176 - Meer der Sehnsucht.doc
trüben Wasser trieben. Der Ekel erregende Geruch nach Tod und Verfall war fast unerträglich. Ambrosia fing an zu zittern. Es war ihr unmöglich, ihre schreckliche Angst zu beherrschen. Als irgendetwas ihren Knöchel streifte, hätte sie beinahe aufgeschrien.
Gerade wollte sie sich noch eine Sprosse tiefer wagen, als etwas an die Oberfläche des undurchdringlich schwarzen Wassers kam. Ambrosia blieb wie erstarrt stehen, und ihr stockte der Atem. Doch dann atmete sie langsam und tief aus. „Riordan!"
„Ambrosia, du hast hier unten nichts verloren. Du dürftest überhaupt nicht hier sein."
„Ich ... ich habe mir Sorgen um dich gemacht." Wie selbstverständlich kam ihr die vertrauliche Anrede über die Lippen. „Ich habe gerufen, und als du keine Antwort gabst, fing ich an, dich zu suchen."
„Es ist alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. Ich wollte nur schnell den Rumpf überprüfen. Geh jetzt zurück an Deck."
Er schwamm zur Leiter und beobachtete, wie Ambrosia sich an den Aufstieg machte. Kurz darauf folgte er ihr. Als er oben an Deck vor ihr stand, konnte sie ihn eine Weile nur sprachlos anschauen.
Riordan war bis zur Taille nackt. Aus seinen schwarzen Kniehosen troff das Wasser. Der nasse Stoff schmiegte sich wie eine zweite Haut um seine Hüften und entblößte mehr von seiner Figur, als er verbarg. Wie gebannt beobachtete Ambrosia, wie er den Kopf schüttelte, wobei die Wassertropfen wie Sprühregen im Licht glitzerten.
Er war der überwältigendste Mann, dem sie je begegnet war. Die beeindruckenden Muskeln wirkten wie gemeißelt. Er ähnelte einem griechischen Gott, der soeben den Fluten des Meeres entstiegen war.
Ambrosia bemerkte die Gänsehaut auf seinen Armen. „Hier", sagte sie und reichte ihm den Mantel ihres Vaters, den sie sich um die Schultern gelegt hatte.
„Danke." Riordan schlüpfte hinein und schien die Wärme des Kleidungsstücks sehr zu genießen. Er bückte sich, krempelte die Hosenbeine noch ein Stückchen höher und zog seine Stiefel an.
„Hast du schon etwas gegessen?" wollte Ambrosia wissen.
„Nein, ich habe auf dich gewartet."
„Dann werden wir jetzt essen", erklärte sie bestimmt. „Außerdem wird dir auf diese Weise auch schneller wieder warm."
Ambrosia stand neben Riordan auf dem Oberdeck. „Nun, was meinst du, nachdem du den Schaden begutachtet hast? Lässt sich die Undaunted schnell reparieren?" wollte sie wissen.
„Ja, ich denke schon. Ich habe den Rumpf überprüft und keine einzige Leckage gefunden.
Das Wasser im Laderaum rührt von den hohen Wellen her, die über uns hinweggerollt sind."
Prüfend sah sich Ambrosia um. „Gab es ein Feuer an Deck? Was ist das für ein Loch da an der Außenwand?"
„Ach, du meinst die Brandspuren im Holz?" Riordan vermied es, sie anzusehen. „Da muss während des Sturms eine Kohlenpfanne umgekippt sein. Und wahrscheinlich sind wir in dem dichten Nebel gegen eine Sandbank gestoßen."
„Sandbank? Kohlenpfanne?" Ambrosia deutete auf die Bugspitze. „Da, sieh nur, noch mehr Brandspuren. Wie willst du die denn wohl erklären?"
Als er angelegentlich zu Boden blickte und ihr eine Antwort schuldig blieb, reckte sich Ambrosia ein wenig, stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn herausfordernd an. „Also, Riordan, ich glaube, es ist höchste Zeit, dass du mir ein paar Dinge erklärst."
„Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst."
„Und ob! Ich will die Wahrheit von dir hören. Der Schaden unten im Frachtraum mag durchaus von dem Sturm verursacht worden sein. Aber diese Brandspuren und Löcher haben eine völlig andere Ursache." Sie senkte die Stimme, als sie fragte: „Könnte es sein, dass die Beschädigungen hier oben von Kano nenfeuer herrühren?"
„Wie kommst du denn bloß auf eine solche Idee?" wich Riordan einer Antwort aus.
„Ich habe eine Botschaft gefunden, die zwischen den Seiten des Logbuchs steckte und von König Charles stammt. Er dankt darin meinem Vater für seine Dienste als Pirat im Namen der Krone. Und nun wirst du mir endlich die Wahrheit sagen, Riordan! Wurde die Undaunted von einer Kanonenkugel getroffen?"
„Würde es für dich und deine Schwestern einen Unterschied in eurer Trauer machen, wenn ihr ganz genau wüsstet, wie euer Vater und euer Bruder gestorben sind?" stellte er die Gegenfrage.
Ambrosia atmete tief durch. „Ich muss und will wissen, was genau geschehen ist, egal, wie schmerzlich die Wahrheit auch sein mag. Nachdem ich nun weiß, dass mein Vater in gefährlichen
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