Historical Exclusiv Band 44
als hätte sie Angst, dass jemand sie hören könnte. „Aber das wagen sie nicht. Er ist die rechte Hand des Königs.“
Agnes hatte die Identität ihres Liebhabers verraten. Das arme Mädchen glaubte wirklich, dass er in Sicherheit war, aber in Zeiten wie diesen war niemand sicher. Doch wenn Agnes ihr vertraute, konnte Solay vielleicht etwas Nützliches erfahren. „Lord Justin erledigt die Rechtsgeschäfte des Rates?“
Mit einem Schmollen kroch Agnes zurück unter die Decken. „Ich glaube. Wer weiß, womit ein Mann seine Zeit verbringt, wenn er nicht bei einer Frau ist? Dokumente, Diplomatie, Buchführung.“ Sie zuckte die Achseln, als wäre nichts davon wichtig.
Solay starrte sie verblüfft an. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, dass die Arbeit des Königs die Arbeit der Welt war. Während die weiblichen Künste der Zerstreuung dienten, regierten Geld und Macht, Gesetz und Kriege die Welt. Wie konnte Agnes sich nicht für solche Dinge interessieren?
„Aber das ist nicht das, was Ihr wirklich wissen wollt“, fuhr Agnes mit einem katzenhaften Lächeln fort. „Ich sah, mit welchem Verlangen er Euch während des Weihnachtsmahls beobachtete. Ihr wollt wissen, was für ein Mann er ist.“
„Er ist ein Feind des Königs.“ Und meiner. „Das ist alles, was ich wissen muss.“
„Aber nicht alles, was Ihr wissen wollt. Er sieht gut aus, nicht wahr? Viele Frauen denken das, aber er hat sie alle abgewiesen.“ Agnes legte den Kopf schief. „Ich hörte, er sollte vor vielen Jahren heiraten, aber das Mädchen starb.“
„Er trauert also noch?“ Aus irgendeinem Grunde erschien er ihr nicht wie ein Mann, der einer verlorenen Liebe nachweint.
„Er ist an einer Heirat nicht interessiert.“
„Seine Familie lässt das zu?“ Gewiss war er fast Ende zwanzig. Die Familie musste einen Erben wünschen.
„Er ist ein zweiter Sohn, sein Bruder hat viele Kinder. Aber seid auf der Hut, Solay. Er und die Lords trachten danach, den König zu vernichten.“
Sollte Justin mehr als nur Küsse für sein Schweigen verlangen, wie sollte sie ihm das verweigern? „Er reizt mich nicht. Ich versuche nur, herauszufinden, wer hier wer ist.“
„Gut. Ich sah Euch mit dem Earl of Redmon. Er könnte einen guten Ehemann abgeben. Seine Frau starb an Michaelis, und er hat drei Kinder, die eine Mutter brauchen. Vielleicht ist er nicht allzu wählerisch. Ich meine …“ Sie errötete. „Es tut mir leid.“
„Ist schon gut.“ Für Solay würde es keine Ehe geben. Sie hatte einem Ehemann nichts zu bieten außer ihrem Körper, falls nicht ein Mann Verlangen nach königlichem Blut hatte. „Ich hoffe nicht auf einen Ehemann.“ Sie hoffte auf eine Zuwendung des Königs, nicht auf eine Gruppe von Lords mit begrenzter Macht, und wenn sie dem König gefallen wollte, dann musste sie ein Horoskop erstellen und ein Gedicht schreiben.
„Sagt mir, Agnes, wer ist des Königs Lieblingsdichter?“
4. KAPITEL
A ls zwei Tage später der Narrenkönig um den Tisch herumschlich, fühlte Justin sich keineswegs weihnachtlich.
Auf der anderen Seite des Raums lachte Solay heiter über etwas, was der Dichter John Glower gesagt hatte.
Justin lachte nicht.
Energisch biss er in ein Stück gebratenes Wildschwein. Immerhin hatte sich König Richard der Konvention gefügt und zum Weihnachtsfest ein ganzes Schwein am Spieß braten lassen. Gewöhnlich war das Fleisch bei Tisch gewürzt, gezuckert und so weit zerkleinert, dass man es löffeln konnte.
Robert, Duke of Hibernia, hatte jetzt den Platz neben dem König verlassen und stand ebenfalls lachend neben Solay. Dieser Mann allein brachte Justin schon dazu, die Stirn zu runzeln. Er stand dem König so nahe, dass er sich einzubilden schien, auch er wäre königlichen Geblüts.
Und so, wie sie ihn mit großen Augen ansah, schien auch Solay um die Stellung des Dukes zu wissen.
Wieder hörte er ihr heiteres Lachen.
Genau wie ihre Mutter würde sie lügen und betrügen und jedermann benutzen, um das zu bekommen, was sie wollte. Während der letzten beiden Tage war er ihr aus dem Weg gegangen, doch da er ihren Motiven nicht traute, hatte er sie aus der Ferne beobachtet.
Sei ehrlich zu dir selbst, Lamont. Dies hier hat nichts mit deinem Misstrauen ihr gegenüber zu tun. Du kannst einfach nur die Augen nicht abwenden von dieser Frau.
Wie hatte er sich dazu überreden lassen, ihre Lügen zu unterstützen? Nun war auch er von ihrer Falschheit befleckt, und anstatt ihm zu danken, beschuldigte sie ihn unlauterer
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