Historical Exclusiv Band 44
Absichten. Er sollte sie verraten und vom Hofe vertreiben lassen.
Aber dann erinnerte er sich an den Schmerz in ihren Augen.
Für eine leidende Frau hatte er sich immer schon zum Narren gemacht.
Vielleicht sogar mehr als nur zum Narren, denn der Schmerz, den er zu sehen glaubte, war wahrscheinlich genauso falsch wie ihre dargebotenen Küsse.
Gloucester gesellte sich zu ihm, einen Kelch mit Wein in der Hand. „Eure Blicke sind stets auf Lady Solay gerichtet.“
„Sie zieht die Blicke aller Männer im Raum an.“ Die meisten hatten sie lüstern betrachtet, solange sie es ihnen erlaubt hatte. „Ich habe sogar gesehen, dass sie mit Euch sprach.“
Gloucester lächelte. „Sie besitzt das Talent ihrer Mutter, mächtigen Männern zu gefallen, aber wenn sie einen Gemahl suchen sollte, wird es für sie nicht leicht sein, einen zu finden, der sie haben will.“ Lachend grüßte er mit seinem Kelch und ging weiter die Halle hinunter.
Gemahl. Erschrocken sah Justin sich in der Menge um. Sie lächelte dem Earl of Redmon zu, der kürzlich zum Witwer wurde, als seine dritte Frau die Treppe hinuntergefallen war. Warum hatte er bisher nicht daran gedacht, dass sie heiraten könnte? Ein Ehemann würde ihr mehr nützen als eine finanzielle Zuwendung, wenn er nur genug besaß und bereit war, Alys Weston als Schwiegermutter zu akzeptieren.
Und der richtige Ehemann brauchte nicht die Zustimmung des Rates. Nur die des Königs.
Er sah zur Empore hinüber. Trotz der heiteren Festtage blickte der König genauso finster drein wie Justin. Seit er dem König gesagt hatte, dass der Rat seine Pläne nicht billigte, war Richard schlechter Laune.
Auch heute Abend schmollte er, während der arme Narr versuchte, Heiterkeit zu verbreiten, indem er die unmöglichsten Paare dazu aufforderte, sich zu umarmen.
So zwang er Hibernia dazu, Lady Agnes zu umarmen. Hibernia und Agnes schienen das sehr zu genießen, seiner Gemahlin dagegen gefiel es weniger.
Als Justin ein Lächeln auf Solays Lippen sah, fragte er sich, was sich dahinter verbergen mochte.
Bei dem Gedanken verfinsterte sich seine Miene noch mehr. Und als der Narrenkönig seine Krone vor ihm hin und her schwenkte und ihm damit die Sicht auf Solay versperrte, stöhnte Justin nur unwillig.
Der Narr jedoch ließ sich nicht abweisen. „Und hier haben wir noch einen Mann, der etwas mehr weihnachtliche Heiterkeit zeigen sollte. Wen würdet Ihr heute Abend gern küssen?“
„Niemanden. Lasst mich in Ruhe.“
„Ah, aber Ihr habt Lady Solay beobachtet und Eure Blicke auf sie gerichtet. Würdet Ihr dasselbe auch gern mit Euren Lippen tun?“
Als sie ihren Namen hörte, sah Solay zu ihm hinüber.
Sein ganzer Körper sehnte sich danach, zu antworten. Er hatte ihre Küsse bereits abgewehrt, aber die Männer, mit denen sie sich heute umgab, taten das vielleicht nicht. Der Wein hatte seinen Widerstand geschwächt. Gewiss verdiente auch er es, einmal zu kosten. „Ja“, erwiderte er. „Ich würde die Tochter der Sonne gern küssen.“
Sie riss die Augen auf und öffnete ein wenig den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber kein Laut kam über ihre Lippen.
Die Essenden neben ihm verstummten. Lag es daran, dass er es wagte, die Tochter eines Königs zu küssen, oder dass niemand daran erinnert werden wollte, wer sie war?
Das Geplapper des Narren durchdrang die gespannte Stille. „Der Narrenkönig macht alles möglich.“ Er nahm Justins Hand und zog ihn um den Tisch herum, sodass er Solay gegenüberstand.
Gefangen im Griff des Narren, sah Justin, wie ihre Augen sich verdunkelten, und er bedauerte seine Ehrlichkeit. Was würde geschehen, wenn er ihre Lippen berührte? Er zwang sich zur Vernunft. Nichts würde geschehen. Sie war eine Frau, nichts sonst.
Der Narr lachte heiter. „Euer Wunsch ist mir Befehl. Küsst die Lady!“
Sie war jetzt zu nahe, so nahe, dass ihr Duft ihn umfing. Sie roch nach Rosenblättern, die in einer goldenen Schatulle verschlossen waren, süß und doch geschützt von dem Metall, das nur ein Feuer zerstören konnte.
Er wollte sie in die Arme nehmen, sie an sich pressen und sie küssen. Er wollte sie besitzen, doch eine warnende Stimme sagte ihm, dass sie stattdessen ihn besitzen würde.
Ihre Lippen waren leicht geöffnet, doch er sah kein Verlangen in ihren Augen, nur Furcht.
Er umfasste ihre Arme, hielt sich mit Bedacht von ihrem Körper fern, beugte sich vor und berührte sie mit seinem Mund.
Ihre Lippen fühlten sich so weich an, wie er es erwartet
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