Historical Exklusiv Band 42
schlankes Bein. Im Moment war jedes dieser normalerweise hübsch anzuschauenden Körperteile unübersehbar von Gänsehaut verunziert.
Dennoch, bei einer halben Guinee pro Sitzung konnte Talitha sich schlecht beklagen, sie musste für ihren Lebensunterhalt schließlich wohl oder übel alleine aufkommen. Mit den Guineen von Mr Harland beglich sie die Kosten für ihre Unterkunft. Die Tatsache, dass sie bei dem Künstler einer Arbeit nachging, die sich für eine junge Dame absolut nicht schickte und die von beinahe jeder rechtschaffenen Person für kaum besser als Prostitution angesehen wurde, bekümmerte sie nicht.
Sie vertraute vollkommen auf Mr Harlands Anständigkeit ihr gegenüber. Es war, das spürte sie, nicht einmal so, dass er sich bemühen musste, sich durch und durch redlich zu verhalten, nein, er war tatsächlich nicht im Geringsten an ihr interessiert – wie anscheinend auch an keiner anderen Frau. Sie hatte davon gehört, dass manche Männer ihr eigenes Geschlecht bevorzugten, doch auch dies schien nicht der Fall zu sein. Seine Obsession galt offensichtlich allein der Kunst, für anders geartete Gefühle bot sich kein Raum.
Der zweite Grund für Talithas Sorglosigkeit in Bezug auf ihre Beschäftigung war die Tatsache, dass keines von Mr Harlands Werken, in denen sie abgebildet worden war, jemals die Wände einer Ausstellung zieren würde. Es war nicht etwa so, dass seine Liebe zur Antike dem modernen Geschmack zuwiderlief, dies zeigte die allgemeine Begeisterung über die Ausstellung der Elgin Marbles, die demnächst gezeigt werden sollte – es handelte sich hierbei um griechische Marmorskulpturen, die der Staat einem gewissen Lord Elgin abgekauft hatte. Nein, Frederick Harlands Leinwände waren einfach zu gewaltig, sein Perfektionismus zu übermächtig. Es würde ihm niemals gelingen, je ein Werk fertig zu stellen, geschweige denn, es kritischen Blicken darzubieten.
Das Bild der Diana war das vierte, für das Talitha Modell stand: Die drei ersten hatten bereits einen Zustand der Beinahe-Fertigstellung erreicht, doch stets hatte der Künstler seine Pinsel verzweifelt von sich geworfen und verkündet, niemals fähig zu sein, seine inneren Visionen manifestieren zu können. Alle Werke wurden sicher verwahrt, denn von Zeit zu Zeit holte er eines hervor, fuhrwerkte ein oder zwei Tage lang wild daran herum und gab schließlich niedergeschlagen wieder auf. Zum Glück – sowohl für den Künstler als auch für Talitha – war er nicht nur Nutznießer einer bescheidenen Erbschaft, sondern besaß darüber hinaus ein lukratives und blühendes Geschäft für Porträtmalerei, obgleich er diese Kunst als reines Handwerk verachtete. Drei Tage der Woche lebte er seine Passion für die klassische Malerei, die restliche Zeit schuf er in dem vornehm ausgestatteten Atelier im ersten Stock des heruntergekommenen Hauses Porträts von Mitgliedern der besseren Gesellschaft. Es zeugte von einem Tribut an seine Arbeit, dass die Angehörigen der Oberschicht sich für ein Abbild ihrer selbst auf die Reise zu seinem Haus begaben, das sich, entschieden abseits gelegen, einen Steinwurf vom Leicester Square entfernt befand.
Im Geiste überschlug Talitha ihre Barschaft. Würde ihre andere, öffentlich anerkannte Beschäftigung die Investition in eine neue Garderobe verlangen?
Die gedankliche Überprüfung ihrer Finanzen war mehr als Grund genug für die Furche zwischen ihren Brauen, doch das Stirnrunzeln verschwand plötzlich, um von einem Ausdruck echter Furcht ersetzt zu werden. Vier Stockwerke unter ihr wurde der Klopfer an der Tür betätigt, und einen Augenblick später konnte sie eine Anzahl männlicher Stimmen ausmachen, die durch das teppichlose Stiegenhaus emporschallten.
Mit einem Ausruf des Unmutes ob der Unterbrechung ließ Mr Harland klappernd seine Palette fallen, kletterte von seinem Posten herab und riss die Tür zur Dachkammer auf.
Den fadenscheinigen Überwurf um sich gewickelt, lief Talitha ihm hinterher und hinaus auf den winzigen Stiegenabsatz. Klar und deutlich hörte sie durch das Treppenhaus von unten herauf die Stimme von Peter, Mr Harlands Farbmischer. Dieser bewohnte das Erdgeschoss, zusammen mit seinen Töpfen und Tiegeln, den Taschen mit Pigmenten und den Ölflakons. Aus allerlei fremdartigen Substanzen mischte er dort auf magische Weise seine leuchtenden Farben.
„Mr Harland empfängt mittwochs keine Kunden, meine Herren. Dienstag und Donnerstag sind seine Tage. Bitte, Sir, Sie können
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