Historical Saison Band 18 (German Edition)
einer hochgestellten Persönlichkeit einen vertrauten Umgang gepflegt hatte, bei dem ihr ähnliche Freiheiten gestattet waren. Diese Ungezwungenheit schien geradezu Teil ihrer Natur zu sein … einer verdammt faszinierenden Natur!
Wenig später hielt Lord Fincham sein Versprechen und führte Georgie durch das weiträumige Gebäude. Nachdem sie alle Zimmer des Erdgeschosses in Augenschein genommen hatten, stiegen sie auf einer mit Schnitzereien verzierten Treppe aus der Zeit Jakobs I. hoch in die obere Etage. Dort gelangten sie in eine lange und gut ausgeleuchtete Bildergalerie, die die Verbindung zwischen dem Ost- und dem Westflügel darstellte. An ihren Wänden hing die lange Reihe der Ahnenporträts der Finchams, von denen Georgie jedes einzelne interessiert betrachtete. Schließlich verharrte sie vor dem Bild des jetzigen Viscounts. Es war ein paar Monate, nachdem er den Titel geerbt hatte, angefertigt worden.
„Das Porträt gefällt dir nicht“, bemerkte er, als er sah, wie sie die Stirn runzelte. „Die meisten finden es sehr gut gelungen.“
„Ganz gewiss ist es das, Mylord. Ich bin mir sicher, dass der Künstler sein Handwerk versteht. Es ist bloß schade, dass er Sie in einer so verdrießlichen Stimmung zeigt.“ Sie legte den Kopf zur Seite und überprüfte die Ähnlichkeit. „Genau so heben Sie manchmal die lange Nase, wenn Sie gerade in einer dünkelhaften Stimmung sind – das passt. Doch viel öfter gibt es ein Funkeln in Ihren Augen, das beweist, dass Sie eigentlich gar keine schlechte Laune haben. Ich habe es oft beobachtet, wenn Sie sich mit mir unterhielten“, fuhr sie unbefangen fort. „Das fehlt in diesem Bild. Vielleicht befanden Sie sich da noch in Trauer um Ihren Bruder. Aber es ist nicht so sehr Traurigkeit, die ich dort von Ihren Augen ablese, sondern Zorn … oder vielleicht auch Verbitterung. Nein, da waren Sie absolut nicht Sie selbst.“
Großer Gott, wie recht sie hat! dachte er. Er hatte nie darüber nachgedacht, aber jetzt sah er das Porträt in neuem Licht. In jenen Monaten nach seiner Rückkehr aus Frankreich war er sowohl zornig als auch verbittert darüber gewesen, wie kaltherzig sich Charlotte Vane von ihm abgewandt hatte. Fortan hatte er seine Gefühle vor anderen verschlossen und kaum mehr einer Frau gestattet, ihn wirklich kennenzulernen – insbesondere nicht den Damen, mit denen er seitdem intimere Beziehungen gepflegt hatte. Im Laufe der Jahre hatte er immer weniger an die Frau gedacht, die seine jugendlich-romantischen Vorstellungen in einem einzigen Akt des Verrats zerstört hatte. In den letzten Wochen war sie ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen. War das Zufall oder gab es dafür einen besonderen Grund?
Er hob den Blick und lächelte. Seine Augen trafen sich mit einem Paar leuchtend veilchenblauer Augen, die ihn neugierig musterten. „Ich stimme dir zu, mein Kind. Die Ähnlichkeit hält sich in Grenzen. Es ist höchste Zeit, dass ich ein neues Porträt in Auftrag gebe – eines, das den wahren Charakter dieses attraktiven und liebenswürdigen Aristokraten widerspiegelt. Was meinst du?“
Schelmisch legte sie den Kopf zur Seite. „Es hängt davon ab, ob Sie möchten, dass der Künstler die Wirklichkeit abbildet oder nur Ihre Eitelkeit befriedigt.“
Er nahm eine stolze Pose wie auf dem Bild an der Wand vor ihnen ein. „Darf ich dem entnehmen, dass du mich nicht für einen Adonis hältst?“
„Wenn Sie so fragen … nein, nicht direkt“, gab sie sehr freimütig zur Antwort. „Sie besitzen ausdrucksstarke und regelmäßige Züge. Aber ihr Gesicht hat eher einen männlichen Charakter und nicht den eines Beaus, eines Dandys. Womit ich damit nicht sagen will, dass Sie schlecht aussähen … wirklich, alles andere als das.“
Ohne auf das Zucken seiner Mundwinkel zu achten, betrachtete sie ihn eine Weile. „Ich denke jedoch, Sie sollten bei der nächsten Porträtsitzung ernsthaft in Erwägung ziehen, sich nach dem neuen Modestil von Brummell zu kleiden. Ich sah ihn erstmals auf dem Ball des Duke und der Duchess of Merton, erinnern Sie sich? Da wusste ich natürlich nicht, wer er war. Erst später, in dem Etablissement, wo Sie Karten spielten, machte mich der Türsteher auf ihn aufmerksam. Ich finde seine Art, sich zu kleiden, sehr vorteilhaft und äußerst elegant. Wie Sie ist auch er eine eindrucksvolle Erscheinung. Es ist bloß ein Jammer, dass diejenigen, die ihn nachahmen, weit hinter seinen Maßstäben zurückbleiben.“
„Und du möchtest also,
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