Historical Weihnachten Band 01: Das Geschenk der heiligen Nacht / Die Winterbraut / Licht der Hoffnung
sie offensichtlich nur ungern um Hilfe bat, musste sie einsehen, dass sie sich nicht zu schämen brauchte, wenn sie seine Gastfreundschaft annahm. Reisende waren ihm das ganze Jahr hindurch willkommen, erst recht in der Weihnachtszeit.
Ihre violetten Augen wurden größer, während sie schwer schluckte. Schnell beugte sich Campion zu ihr vor, da er besorgt war, sie könne sich verschluckt haben. Doch sie drückte den Rücken durch und hob eine Hand, als wolle sie ihn abwehren. „Nein, ich … oh, aber wir können nicht bleiben. Ich will sagen, wir möchten Euch nicht so lange Zeit zur Last fallen.“
„Ihr wollt doch sicher nicht bei diesem Wetter weiterziehen, nicht wahr?“, fragte Campion überrascht. Ihre Dummheit, zu dieser Reise aufzubrechen, hatte sie ja bereits zugegeben. Wenn sie jetzt versuchte, einen weiteren Anlauf zu unternehmen, dann konnte man ihr mit Fug und Recht jeden gesunden Menschenverstand absprechen.
„Oh, es wird morgen wahrscheinlich schon wieder aufklaren.“
Campion warf ihr einen abschätzigen Blick zu, woraufhin sie zur Seite schaute. Das brachte ihn auf die Frage, ob es noch einen anderen Grund für ihre Reise gab, den sie ihm verschwiegen hatte. Selbst wenn es aufhören sollte zu schneien, waren alle Wege und Straßen tief verschneit, und das wusste sie ganz genau. Ihre Sprechweise und ihr Verhalten ließen keinen Zweifel daran, dass sie eine intelligente Frau war.
Warum sollte sie ihr Leben aufs Spiel setzen, nur um einen Cousin zu besuchen?
Eigentlich war Campion niemand, der sich in die Angelegenheiten anderer Leute einmischte, solange diese nicht ihn betrafen. Doch wenn Lady Warwick glaubte, morgen schon wieder aufbrechen zu können, dann befand sie sich im Irrtum. Die starrsinnige Frau würde noch erfroren in einer Schneewehe enden, sollte er ihren Wünschen nachkommen. Und ganz gleich, wie sehr sie es auch gewohnt sein mochte, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – hier auf Campion hatte er das Sagen.
Doch er wäre nicht der Herrscher über sein eigenes Reich gewesen, hätte er sich zu unklugen Handlungen hinreißen lassen. Darum behielt er seine Meinung vorläufig für sich und hoffte darauf, dass Lady Warwick nach einer ausgedehnten Nachtruhe zur Vernunft kommen würde. Bis dahin würde er es ihr so bequem wie möglich machen, indem er ihr mehr Speisen, mehr Wein anbot, außerdem eine weitere Decke …
„Seid gegrüßt!“ Der Klang von Stephens Stimme veranlasste Campion, in dessen Richtung zu schauen. Am anderen Ende des Saals stand der Sohn, der von allen am besten aussah, abgesehen von seinem leicht zerzausten Haar. Beim Anblick der Gäste reagierte er mit einem Lächeln, bei dem sogar das kälteste Herz dahinschmelzen musste. Campion fühlte sich hin und her gerissen zwischen Stolz auf den Charme des Jungen und Erschrecken über die klägliche Art, wie er diesen Charme einsetzte.
„Was haben wir denn hier, Vater? Besucher an Heiligabend?“, fragte Stephen und kam näher.
„Lady Warwick, meinen Sohn Reynold hattet Ihr bereits kennengelernt, darf ich Euch nun meinen Sohn Stephen vorstellen“, sagte Campion. „Lady Warwick bleibt bei uns, bis sich das Wetter bessert.“ Zu seiner Belustigung hob sie bei seinen Worten das Kinn trotzig an, als wolle sie gegen diese Aussage protestieren, doch in diesem Moment trat Stephen vor und verbeugte sich tief vor ihr, sodass ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war.
„Mylady, es ist wahrhaft ein Vergnügen, mit Eurer Anwesenheit gesegnet zu sein.“
Stephens recht überhebliche Miene ließ vermuten, dass er mit der üblichen weiblichen Reaktion auf seine Attraktivität rechnete, doch Lady Warwick nickte nur knapp, als sei er für sie nur von geringem Interesse.
Stephens Bestürzung angesichts ihrer zurückhaltenden Reaktion war nicht zu übersehen, und Campion musste sich einmal mehr ein Lächeln verkneifen, während er sich zu der Dame umdrehte und sie nachdenklich musterte. Sie war eine interessante Frau – schön, intelligent, selbstbewusst und zu scharfsinnig, als dass Stephens recht abgestumpftes Auftreten sie hätte beeindrucken können. Ein solcher weiblicher Gast war in diesem Haushalt eine seltene Ausnahme.
So leicht wollte Stephen jedoch nicht aufgeben und schaffte es, sich auf den Hocker zu setzen, wobei er das Tablett mit Speisen hochnahm und auf seinem Schoß absetzte, sodass sie dort nach dem Essen greifen musste. Campion verfolgte das Geschehen mit einem Stirnrunzeln. Seine Söhne waren zu alt,
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