Historical Weihnachten Band 01: Das Geschenk der heiligen Nacht / Die Winterbraut / Licht der Hoffnung
seiner Kuppeldecke trotz der Fackeln und Kerzen in tiefe Schatten getaucht gewesen, doch nun … Joy musste erst einmal durchatmen, denn etwas in dieser Art war für sie ein völlig neuer Anblick. Der Saal war hell und sauber, die Wände hatte man weiß gestrichen, durch die hohen Fenster fiel das Licht großzügig in den weitläufigen Raum. Überall standen Regale, Sitzbänke und Stühle, dazu so viele lange Tische, dass Joy verdutzt zwinkerte.
Überall eilten Menschen hin und her – angefangen von solchen in den vornehmsten Gewändern bis hin zu jenen in der einfachsten Kleidung. Männer und Frauen unterhielten sich und lächelten, ihre Stimmen erzeugten dabei ein gleichmäßiges Summen. Kinder rannten umher, lachten und kreischten vor Vergnügen. Diener waren mit Krügen unterwegs, Ale wurde eingeschenkt, und man hob die Becher, um sich zuzuprosten. Aus der Küche wehte der Duft nach gekochten Speisen und Gewürzen.
„Was herrscht hier für ein Irrsinn?“, flüsterte Joy.
Hinter ihr lachte Roesia leise. „Es ist Weihnachten, Mylady. Oder hattet Ihr das vergessen?“
Joy hatte es tatsächlich vergessen, was sie mit einer unerklärlichen Traurigkeit erfüllte. Doch die Feiern, die sie kannte, waren nichts im Vergleich zu dieser hier.
Zwar hatte sie sich immer Mühe gegeben, die Traditionen zu bewahren und jene Menschen zu bewirten, die auf Mallin Fell zu Gast waren, doch hier fiel das alles gleich um einige Nummern größer aus. Mit ihren bescheidenen Mitteln hätte sie selbst das niemals bewerkstelligen können. Es herrschte mehr Lärm, mehr Leute waren anwesend, es gab mehr zu essen und zu lachen, und die Menschen waren glücklicher, als Joy sich das je hätte vorstellen können. Sie sagte sich, das alles sei nur eine Illusion, ein Taschenspielertrick, hervorgerufen durch Reichtum und Macht.
Doch dann sah sie, wie sich ihnen ihr Gastgeber näherte, und sie musste feststellen, dass dieser Mann erschreckend real aussah.
Ist er gestern auch schon so groß gewesen?, fragte sich Joy, die auf der untersten Stufe stehen blieb, damit sie sich nicht den Hals verrenken musste, sobald er sie erreichte. War er tatsächlich so erhaben und so … so gut aussehend gewesen? Joy musste schlucken, als sich der Earl of Campion vorbeugte, um sie zu begrüßen. Sein ganzes Wesen strahlte Autorität und Kraft aus, doch als er dann sprach, geschah dies mit einer sanften Stimme, die ihr durch und durch ging.
„Mylady, darf ich Euch eine gesegnete Weihnacht wünschen und Euch bitten, an unserer Feier teilzunehmen?“, sagte er und lächelte gefällig.
„Danke“, erwiderte Joy, die vergeblich nach einer geistreichen Antwort suchte. Der Blick des Earls ließ sie nicht los, und einen Moment ging ihr der absurde Gedanke durch den Kopf, er könne bis tief in ihre Seele schauen. Das brachte sie zurück auf ihr eigentliches Vorhaben, unverzüglich abzureisen, und sie hob ihr Kinn in dem festen Entschluss, sein Angebot abzulehnen.
Üblicherweise war Joy von einem Ziel nicht mehr abzubringen, das sie sich einmal gesetzt hatte, auch wenn man das angesichts ihrer zierlichen Statur gar nicht hätte glauben wollen. Roesia sagte sogar oft, sie sei so unaufhaltsam wie eine Naturgewalt, wenn sie sich erst einmal etwas vorgenommen hatte. Keine von beiden hatte bis dahin aber den Earl of Campion kennengelernt, der sich allen guten Manieren zum Trotz als ein unüberwindliches Hindernis entpuppte.
Er war schlichtweg nicht gewillt nachzugeben, wie Joy erkennen musste, als er sie zu einem Stuhl an der großen Tafel führte. Dabei zeigte er sich von einer ruhigen, vornehmen Seite, die seine Arroganz so gut überspielte, dass sich eine andere Frau davon hätte täuschen lassen. Zwar gelang ihm das bei Joy nicht, doch sie musste zugeben, dass ihr seine Art gefiel. Egal, was sie sagte, Campion reagierte mit einem Lächeln und einem Nicken, als stimme er mit ihrer Meinung völlig überein, und dennoch bestand er schon im nächsten Satz darauf, dass sie wenigstens für die Feier blieb.
Sie erklärte, sie müsse sich unverzüglich auf den Weg machen, doch er wollte davon nichts wissen und ließ jeden ihrer Proteste mit einer Freundlichkeit ins Leere laufen, die auf sie weder bedrängend noch bevormundend wirkte.
Während sie auf diese höchst zivilisierte Weise stritten, fragte sich Joy insgeheim, ob der Earl wohl jemals die Geduld verlor – und ob er dazu überhaupt in der Lage war, da er der ausgeglichenste Mann zu sein schien, den sie je
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