HISTORICAL WEIHNACHTEN Band 02
streckte die Hände der Wärme entgegen.
Olivia dachte bei sich, dass wohl kein Feuer der Welt die Kälte in ihren eigenen Gliedern würde vertreiben können. Sie kam aus ihrem Innern. Sie rührte von ihrer Furcht her.
„Deine Name ist Olivia, wie man mir sagte“, erklärte er, ohne sich umzublicken. Seine Stimme klang voll und tief.
Olivia schluckte schwer. „Ja, Mylord, ich heiße Olivia.“
„Du bist nicht aus Thalsbury, oder?“
„Nein, Mylord.“ Wenn sie über sich sprach, erzählte sie immer eine erfundene Geschichte. Sollte sie das jetzt auch tun?
„Und du bist keine Dienerin, nicht wahr, Olivia?“
Mit diesen Worten wandte er sich um und musterte sie eindringlich, angefangen von den abgetragenen Schuhen bis hinauf zu dem schmuddeligen Tuch, das sie sich um den Kopf gewickelt hatte.
„Ich nehme an, dass du mich anlügen wirst“, begann er erneut.„Eine adelige Dame kommt nicht zum Vergnügen in ein fremdes Schloss und verdingt sich als Dienerin.“
„Ihr irrt Euch, Mylord“, erwiderte Olivia. „Es ist wahr, ich bin keine Dienerin, aber ich bin auch keine adelige Dame.“ Wie abscheulich leicht kam ihr die Unwahrheit über die Lippen! Doch für Gewissensbisse wegen ihrer Schlechtigkeit war jetzt keine Zeit. „Ich bin die Tochter eines Kaufmanns. Mein Vater starb im letzten Frühling, und meine Mutter konnte nicht länger für mich sorgen. Sie schickte mich fort, damit ich mir eine Arbeit suche.“
„Die Tochter eines Kaufmanns?“ Der selbstgefällige Ausdruck auf seinem Gesicht wurde ein wenig milder. Wieder musterte er sie, und sein Blick verhielt so lange auf ihren weiblichen Rundungen, dass sie darüber errötete.
„Woher hast du diese Kleider?“, verlangte er zu wissen. „Sogar meine Leibeigenen besitzen bessere.“
Zu ihrem Erstaunen fühlte sich Olivia ein wenig gekränkt.
Er trat näher. „Und enthülle dein Haar.“ Er deutete auf die üppige Masse, die sich unter dem Tuch verbarg. „Dieser Wimpel, den du dir da umgebunden hast, ist höchst unkleidsam.“
Verlegen fingerte sie an dem zusammengeknoteten Tuch herum. Es war nicht ihre Art, sich viel Mühe um ihr Aussehen zu machen, aber sie war realistisch genug, um zu wissen, wie sie aussah. Deswegen hatte sie sich ja auch in den zwei Monaten, die sie nun auf Thalsbury war, sehr darum bemüht, möglichst viel von ihrem Gesicht zu verbergen. Und sie hatte darum gebetet, unbemerkt zu bleiben.
Ihre Finger zerrten an dem Stoff, der ihr Haar verbarg. „Wenn Besucher dich so sehen, werden sie mich für einen üblen Herrn halten. Du bereitest mir Schande.“
Da erst merkte sie, dass er sich über sie lustig machte. Sie sah ihm in die Augen. Es waren helle, graue Augen, die sie unverwandt herausfordernd ansahen. Sein Blick schien sie festzunageln, als läge unterschwellig in ihm die Frage: Willst du dich mir etwa widersetzen?
Und natürlich würde eine Dienerin sich nie dem Befehl ihres Herrn widersetzen.
Olivia tat, wie ihr befohlen und löste das Wolltuch, das ihren Kopf bedeckte. Ihr dichtes kastanienbraunes Haar kam zum Vorschein. Zerzaust fiel es wie ein Wasserfall über ihre Taille, um schließlich in lockiger Fülle ihre Hüften zu bedecken.
Ein hastiges Luftholen und ein halb erstickter Fluch waren Wills Antwort. Olivia fühlte sich wie nackt. Gerade so, als wäre es genauso lebenswichtig, ihren Kopf zu bedecken wie ihre bewusst schäbige Bekleidung anzuziehen, die sie schützen sollte.
Sie hob den Blick zu Will und sah, wie sich das helle Grau seiner Augen in dunkles Schiefergrau verwandelte. „Du siehst aus wie sie“, keuchte er.
Er entfernte sich einige Schritte von ihr und schien einen Augenblick lang um Fassung ringen zu müssen. Als er sie dann wieder ansah, schimmerte ein Funke neu erwachten Misstrauens in seinem Blick.
„Sag mir, Olivia, wieso du das Verlangen hast …“, er trat näher, nahm eine Strähne ihres üppigen Haars und ließ sie durch die Finger gleiten, „deine Haarpracht zu verbergen. Die meisten Frauen würden sie voller Stolz tragen, du aber … Nun, man könnte meinen, du ver steckst dich.“
Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. „Ich verstecke mich nicht, Mylord. Ich versuche nur, nicht aufzufallen. Meine Mutter lehrte mich, dass es manchmal gut ist, nicht bemerkt zu werden.“
„Durch dein eigenartiges Benehmen kam ich in der Halle selbst schon zu diesem Schluss. Allein deine auffallende Kleidung, die wie eine lächerliche Kostümierung wirkt, wirft Fragen auf. Und
Weitere Kostenlose Bücher