HMJ06 - Das Ritual
ich noch schnell was erledige. Wir fahren los, sobald ich wieder zurück bin.«
»Was willst du erledigen?«, fragte sie, und ihre Miene wurde schlagartig ernst.
»Ich will nur kurz bei Julio’s vorbeischauen. Ich muss im Zusammenhang mit einem seiner Stammkunden etwas nachprüfen.«
2
Jack saß an der Bar, trank Kaffee und verfolgte das Fernsehprogramm, während er auf Barneys Erscheinen wartete. Er hatte einen grauen Rollkragenpullover angezogen, um die Blutergüsse und Striemen an seinem Hals zu verbergen, und er trug trotz der gedämpften Beleuchtung der Bar eine Sonnenbrille. Jedermann, inklusive Julio, achtete auf nichts anderes als auf die Reportagen über das, was jetzt allgemein als »Haus des Schreckens« bezeichnet wurde.
Er dachte an Lyle und überlegte, wie er wohl mit dem Tod seines Bruders zurechtkam. Er war zum ersten Mal in seinem Leben völlig allein. Jack kannte diesen Zustand. Er war damit klargekommen, aber er war dafür wahrscheinlich auch um einiges besser geeignet als andere. Er fragte sich, wie Lyle sich damit arrangieren würde. Er war ein zäher Bursche. Am Vortag hatte er sich ganz gut gehalten. Das Ganze hatte ihm zwar nicht gefallen, aber er hatte seinen Mann gestanden.
Er würde sich schon von dem Schicksalsschlag erholen.
Bellitto. Bei ihm gab es weitaus mehr Fragen als nur die, wo zur Hölle er geblieben war.
Hölle … ja, wenn so etwas existierte, dann war er ganz sicher dort gelandet.
Er hatte behauptet, einige hundert Jahre alt zu sein, und hatte nicht den Eindruck erweckt, als würde er lügen. Konnte das sein? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht hatte er nur geglaubt, die Wahrheit zu sagen. Vielleicht hatte er sich schon so lange eingeredet, dass er so alt war, dass er es am Ende selbst glaubte.
Dennoch fragte sich Jack immer wieder, wohin Tara ihn gebracht haben konnte. Durch das lockere Erdreich bis hinunter zu der Erdspalte? Irgendwohin, wo sie mit ihm so lange sie wollte spielen konnte, ohne jemals gestört zu werden?
Das war Jack nur recht.
Und dann kam die Frage nach Edward, Elis »Ersatzbruder«. Anfangs hätte Jack ihm den Hals umdrehen können. Aber gegen Ende des letzten Tages hätte er sich doch am liebsten bei ihm bedankt. Wenn Edward ihn nicht auf Eli aufmerksam gemacht hätte, wäre Adrian wahrscheinlich an Vicky herangekommen …
Sein Geist weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
Ein vertrautes Gesicht kam in diesem Moment durch die Tür herein und setzte sich drei Hocker weiter an die Bar.
»Barney!«, rief Jack und winkte ihm. »Setz dich hierher. Ich gebe dir einen aus.«
Barney grinste und kam heran. »Man sollte niemals jemanden zurückweisen, der in Spendierlaune ist, sage ich immer.«
Er war gerade von der Arbeit gekommen und brauchte dringend eine Rasur. Die Ausdünstungen seines Willie-Nelson-T-Shirts kündigten sein Erscheinen schon frühzeitig an, und er besaß zahlenmäßig und qualitativ genau jene Art von Zähnen, die man bei einem Willie-Nelson-Fan erwarten würde.
»Was bekommst du?«
»Einen Johnny Walker Red und ein großes Heinie.«
Jack nickte Julio zu, der schallend lachte. »Hey, Mann, was ist mit deinem üblichen Old Smuggler und deinem Eimer Bud?«
»Das gibt es nur, wenn ich selbst bezahle.« Barney wandte sich an Jack. »Welchem Umstand verdanke ich diese Demonstration von Freigebigkeit?«
»Julio hat mir erzählt, du hättest einen älteren Knaben erkannt, der neulich einen Briefumschlag für mich abgegeben hat.«
Barney trank einen Schluck von seinem Scotch. »Das war kein normaler Knabe, es war ein Priester.«
Das hatte Jack nicht erwartet. »Du meinst einen katholischen Geistlichen?«
»Genau. Es war Father Ed von St. Joseph’s. Hast du etwa vor, zu diesem Verein zu wechseln, Jack?«
»Nicht in diesem Monat.« Ed … nun, wenigstens hatte er nicht gelogen, was seinen Vornamen betraf. »Bist du ganz sicher, dass es dieser Priester war?«
»Natürlich bin ich sicher. St. Joe war meine Kirche, als ich noch in Alphabet City wohnte. Father Edward Halloran war dort Pastor. Jedenfalls ist er es damals gewesen. Soll das heißen, du weißt nicht, wer er ist, obgleich er einen Brief für dich hatte?« Grinsend senkte er die Stimme und rückte dichter an Jack heran. »Was war es denn? Eine Nachricht aus dem Vatikan? Hat der Papst ein Problem, das gelöst werden muss?«
Jack sah ihn drohend an. »Woher weißt du das? Hast du meine Post gelesen?«
Barney erstarrte sichtlich. »Hey, verdammt, nein,
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